"Ihr gehts zum Ball wie die Warmen." Die Kritik des Trainers in der Pause sorgte für ein hitziges Gemüt bei Oliver Egger nach dem ersten Saisonspiel der Gratkorner in Gleinstätten. „Ich war auf 180. Obwohl der Innenverteidiger und ich wirklich nicht gut gestanden sind“, sagt er Monate später mit einem Lächeln. Die Erklärung: Oliver Egger ist homosexuell. Und für ihn sind Sätze wie diese eine Beleidigung.

"Am nächsten Tag", erzählt Egger, "habe ich dem Trainer dann eine SMS geschrieben und gesagt, dass ich das nicht in Ordnung finde, wenn er so etwas sagt. Und dann haben wir uns getroffen und geredet." Lange davor hatte sich der Grazer davor gedrückt, sich zu "outen", wie das heutzutage heißt, offen zu seiner Sexualität zu stehen. Vielleicht deswegen, weil er Fußballer ist, wenn auch nur im Amateurfußball. "Und Fußball", sagt sein Trainer Zoran Eskinja, "ist ja angeblich ein echter Männersport. Da gibt es Sprüche wie den in der Pause, aber die werden verwendet, ohne dass man damit bewusst beleidigen will."

Unterstützung der Führungsriege

Dass das für den Trainer des FC Gratkorn nicht nur leer dahingesagt ist, bewies er. "Er ist von der ersten Minute an hinter mir gestanden", erzählt Egger, "wie auch der Präsident." Michael Bretterklieber war dabei, als sich der rechte Außenverteidiger als schwul outete. Und das Führungsduo machte das einzig Richtige: Unaufgeregt akzeptierten sie das Gesagte. "Das sollte ja heute alles schon normal sein", erklärt Bretterklieber, "wir haben uns dann auch vor die Mannschaft gestellt und allen erklärt, was wir uns erwarten. Und wir haben klargestellt: Wenn jemand ein Problem damit hat, dann soll er gehen und nicht Oliver. Weil wir es nicht dulden, wenn auf jemanden losgegangen wird, nur weil er anders ist."

Anders sein. Es dauerte lange, bis sich Egger selbst im Klaren darüber war, anders zu sein. "Mit 22 Jahren habe ich es mir gegenüber eingestanden", sagt er. Und dann begann der lange Weg der Offenbarung. Zunächst die besten Freunde, dann der Bruder, ebenfalls Fußballer. Und dann die Eltern. "Das war das Schwierigste", sagt er. Und dann war da eben die Fußballmannschaft – oder besser gesagt eine Geburtstagsfeier. "Alle haben dann ihre Freundinnen nachkommen lassen. Und bei mir ist dann eben mein Freund gekommen. Als wir uns dann geküsst haben, war es allen klar", erinnert sich der Student.

Humor als Würze

Der Rest? "Ich habe nicht mehr viel tun müssen, ich bin auch nicht vor die ganze Mannschaft getreten. Aber das verbreitet sich dann ohnehin wie ein Lauffeuer", erzählt der 24-Jährige. Was sich seither geändert hat? Wenig. Nicht nur, weil Präsident und Trainer klarstellten, dass es Regeln gibt. "Der Umgang war derselbe wie davor", berichtet Egger. Nur wurden und werden alle ein wenig sensibler. Der "schwule Pass", den gibt es auch in Gratkorn noch mitunter. "Aber das muss man mit Humor nehmen. Ich schrei dann halt zurück, dass er nicht so hetero spielen soll", sagt Egger. Wie überhaupt klar ist: Humor ist eine wichtige Zutat im Umgang mit dieser Thematik. Und die Mannschaft als solche, die hat ohnehin kein Problem damit, das wissen alle Beteiligten.

Im Spitzenfußball sieht man die Stars mit ihren hübschen Freundinnen, das hat Vorbildwirkung. Fußball gilt eben als männliche Sportart. "Du darfst kein Weichei sein, du musst immer vollen Einsatz zeigen", weiß Gratkorn-Präsident Bretterklieber. Und Egger ergänzt: "Manche meinen, dass bei homosexuellen Männern eben die Männlichkeit nicht mehr gegeben ist. Aber das ist völliger Schwachsinn. Ich bin ja bei uns auch fürs Grobe zuständig – der filigrane Techniker, der bin ich keinesfalls."

Und es ist auch allen Beteiligten klar, dass der Schritt in die erste Reihe auch kein Fall für "Weicheier" ist: "Hut ab, dass er so großen Mut hat und das öffentlich macht", sagt Trainer Eskinja, für den diese Situation ebenfalls Neuland ist: "In 35 Jahren als Trainer ist Oliver der Erste, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt." Warum gerade er? "Weil er charakterlich stark ist. Und es wäre schön, wären alle anderen Spieler auch so: immer ehrgeizig, immer mit vollem Einsatz. Er ist einer meiner besten Spieler!"

Bleibt die Frage, warum sich Egger das alles antut. Im Bewusstsein, dass auch in der kommenden Saison noch beim einen oder anderen Spiel Schmährufe kommen werden. "Das", sagt er, "bin ich gewöhnt. Ich bin auch mitten in Graz schon beschimpft worden." Worum es ihm aber wirklich geht: "Es wäre schön, wenn das Thema irgendwann keines mehr ist, weil es nicht berichtenswert ist. Mir wäre es auch lieber, es hätte vor mir schon jemand gemacht, aber davon ist mir speziell in Österreich nichts bekannt. Ich hoffe, dass ich Leute ermutigen kann, sich darüberzutrauen, zu sich zu stehen. Denn wenn die Geschichte nur einer Person hilft, dann ist mein Job erledigt."

Was Egger meint: "Wir haben 2017. Es gibt schwule Schauspieler, Künstler, Politiker, sogar Sportler anderer Sportarten. Nur Fußballer soll es keine geben. Aber das stimmt so nicht." Es sei erschreckend, sagt er, wie mit Fußballern umgegangen worden sei, die den Schritt gewagt hatten. "Der mediale Druck ist enorm, speziell in Deutschland oder England. Vielleicht ist auch deshalb das Outing von Thomas Hitzlsperger verpufft", sagt Egger und ergänzt: "Für eine einzelne Person wäre der Druck wohl wirklich zu groß."

Er hat ihn – natürlich in wesentlich kleinerem Rahmen – auf sich genommen. Er wolle, sagt Egger, das Risiko eingehen, zum Blitzableiter zu werden. Auch für die negativen Emotionen. Das Ziel bleibt nämlich simpel: "Ich will den Leuten aufzeigen, dass es egal ist, was ich bin. Ich bin nicht besser oder schlechter als andere." Denn Egger ortet in der Gesellschaft "einen Rechtsruck. Es kränkt mich auch, wenn ein Bischof Laun Homosexuelle als Gestörte bezeichnet. Das stimmt einfach nicht."
Egger lebt gut mit seinem Outing. Es gehe ihm besser als davor, sagt er, er fühle sich erleichtert. Und ein wenig auch befreit. Fast so, wie wenn ein entscheidendes Tor gelingt.