Mister Marsch, es geht in medias res. Die Saison startet gleich mit dem österreichischen Topspiel. Wie ist die Vorbereitung verlaufen?
JESSE MARSCH: Es ist relativ klar. Wir haben uns den LASK sehr oft angesehen. Sie haben sehr gute Leistungen geboten. Wir wissen um die Bedeutung dieses Spiels, wir wissen, was uns erwartet. Es ist eine spannende Situation, es ist ein Superspiel für die Liga, aber auch für uns.

Ist es spannender, als es Ihnen lieb ist?
Für mich ist jedes Spiel wichtig, es gibt keine leichten Spiele. Das Fußballgeschäft ist ja nicht das einfachste. Man braucht immer das Gefühl, bereit zu sein für eine große Aufgabe. Aus meiner Sicht ist es viel besser, sich auf ein Topspiel vorzubereiten als auf ein normales Match.

Ist es für Salzburg eigentlich vorstellbar, in Österreich einmal nur Zweiter zu sein?
Es ist eine Möglichkeit. Der LASK ist eine Super-Mannschaft. Sie haben sehr gut gespielt, auch in Europa. Für Österreich ist es eine sehr gute Sache, wenn es nicht nur Salzburg gibt, sondern auch den LASK oder Rapid oder den WAC. Es ist gut für die Liga, gut für Österreich in Europa und ich denke, dass der LASK in den letzten Monaten auch aus uns eine bessere Mannschaft gemacht hat.

Die Mannschaft hat nach dem Umbruch im Sommer schon wieder ein neues Gesicht bekommen. Wie beurteilen Sie das Potenzial Ihres "neuen" Teams?
Wir haben in den ersten sechs Monaten gemeinsam so viel zusammen gelernt. Voneinander, über unseren Fußball, über unsere Mentalität, die jeweiligen Persönlichkeiten. All diese Faktoren sind in der ganzen Mannschaft verinnerlicht. Jetzt haben wir die neuen Spieler integriert, ihnen quasi ein Update verpasst, was unsere Spielweise betrifft. Sie verstehen, was wir wollen.

Wie äußert sich das Verständnis, wie nehmen Sie als Trainer dies wahr?
Es umfasst alles. Jeden Tag sprechen wir miteinander, individuell und in der gesamten Gruppe. Wir hören uns an, was die Spieler denken, was ist wichtig für sie, für uns. Wir haben sehr gute Zeiten miteinander erlebt, aber auch schwierigere Phasen. Wir kommen einander immer näher, das Zusammengehörigkeitsgefühl wird immer besser. Und es darf keine Unklarheiten geben, das ist besonders wichtig, um immer unsere Topleistung abrufen zu können. Aber das ist unser Leben.

Wann gab es schwierigere Momente, können wir ein Beispiel hören?
Ein gutes Beispiel war unser letztes Match gegen den LASK, da gab es ein intensives Gespräch zur Halbzeit. Wir waren nicht reif genug und sehr naiv in unserem Spiel. Wir haben aber dann sehr gut reagiert, das war ein sehr wichtiger Moment für uns in dieser Saison. Und dann hatten wir natürlich die Situation im ersten Spiel in Liverpool (3:4 nach 0:3-Halbzeitrückstand, Anmerkung). Ich habe da immer eine Entwicklung festgestellt. Und das gibt uns ein sehr gutes Gefühl für den weiteren Saisonverlauf.

Wie werden Ihrer Meinung nach die Abgänge verkraftet, besonders jene von Erling Haaland und Takumi Minamino? Ist es für einen Trainer nicht frustrierend, regelmäßig miterleben zu müssen, wie einem die besten Spieler vor der Nase weggekauft werden?
Ich glaube, jeder Trainer auf der ganzen Welt muss mit solchen Situationen zurechtkommen. Hier in Salzburg ist es natürlich ganz besonders. Wir haben ein Super-Nachwuchsprogramm, wir haben so viele junge Spieler ausgebildet, aber das ist die Arbeit für einen Trainer, da das Maximum herauszuholen. Und ich glaube, wir haben das in den ersten sechs Monaten geschafft. Mit dieser Erfahrung ist das Gefühl, glaube ich, sogar noch besser. Es ist keine Frustration, im Gegenteil, es ist eine neue Erfahrung und mir macht es eigentlich noch mehr Spaß, sehr viel Spaß.

Haben Sie versucht, Erling Haaland zu überreden, in Salzburg zu bleiben?
Ja, wir haben sehr viel gesprochen. Wir haben ihnen, Erling und seinem Vater, erklärt, was wir uns vorstellen und dann haben wir uns ihre Überlegungen angehört. Ich muss sagen, dass Alf, der Vater, das sehr schlau gemacht hat, bei uns und auch in Dortmund. Aber die Beziehungen zwischen Erling und der Mannschaft sowie dem Verein und zu unserem Trainerteam, waren immer super. Er hat uns so viel gegeben. Und wir wollten das Beste für ihn.

Das heißt, Sie haben auch eingesehen, dass es keine Möglichkeit gibt, Haaland wenigstens noch bis Sommer zu halten?
Ja. Es ist aber auch sehr schön, mitanzusehen, wie gut er sich an das nächste Niveau angepasst hat. Das sagt, glaube ich, auch sehr viel über unsere Arbeit hier aus. Klar, es bedeutet natürlich sehr viel für Erling selbst, aber er macht jetzt auch Werbung für unseren Verein. Jeder sieht, du kannst hierherkommen und wir können dich in relativ kurzer Zeit weiterbringen.

Das heißt, jedes Tor, das Erling für Dortmund schießt, ist auch gut für Salzburg?
Ja, und ich muss sagen, dass sich in diesem Transferfenster sehr viele junge Spieler bei uns gemeldet haben. Sie sehen, was dieser Verein in Zukunft zu bieten hat, für einen 15-Jährigen ebenso wie für einen 18- oder 20-Jährigen. Die beste Zeit für Red Bull Salzburg wird noch kommen.

Am Donnerstag wartet mit dem Europa-League-Match bei Eintracht Frankfurt ein sehr schweres Spiel auf Ihre Mannschaft. Der Gegner ist phänomenal in die Rückrunde der Deutschen Bundesliga gestartet. Wie schätzen Sie das Kräfteverhältnis ein?
Bei der Auslosung habe ich mir gedacht, huch, das wird nicht einfach. Aber jetzt, nach den vielen guten Spielen, ich habe sie angeschaut, weiß ich, dass es noch schwieriger wird. Aber egal, es ist Europa League und da müssen wir unsere beste Leistung zeigen. Ich denke, dass Adi Hütter unseren Fußball sehr gut versteht. Ich kenne das Team vom letzten Jahr in Deutschland (als Co-Trainer von Leipzig, Anmerkung). Es waren zwei Spiele auf hohem Niveau (1:1, 0:0), beide waren nicht einfach. Adi hatte immer einen klaren Plan, und ich gehe davon aus, dass er den auch gegen uns haben wird. Aber wir werden uns ebenfalls einen Matchplan überlegen und ich denke, dass wir nach dem LASK-Spiel bereit sein werden für eine sehr gute Leistung, wie gegen Genk, Napoli oder Liverpool.

Sie haben schon einmal gesagt, dass Salzburg das Potenzial habe, die Europa League zu gewinnen. Sehen Sie dies als realistische Chance auch nach den Abgängen in der Wintertransferzeit?
Zu diesem Zeitpunkt ist es nur Gerede. Wir haben dieses Gefühl. Aber wichtiger ist, dass wir bereit sind für eine Superleistung in jedem Spiel. Dann brauchst du auch ein bisschen Glück, und du musst bereit sein für ein verrücktes Spiel, für unvorhersehbare Situationen.

Aber es zeigt, dass sich Salzburg eigentlich nach oben hin keine Grenze setzt, oder?
Wichtig ist, dass wir niemals arrogant werden dürfen. Aber wir müssen Selbstvertrauen zeigen und an uns glauben. Ich habe schon bei der Champions League gesagt, ich will dieses Turnier gewinnen. Es geht nicht darum, einfach mitzuspielen. Meine Mentalität ist es, jedes Spiel zu gewinnen, egal, wie der Gegner heißt.

Sie haben einmal mit der Familie eine große Abenteuerreise unternommen. Dafür wird jetzt wohl nicht mehr so viel Zeit sein. Welche Erfahrungen haben Sie davon mitgenommen?
Ja, wir sind sechs Monate um die Welt gereist, mit 32 Stationen, wir haben in einfacheren Unterkünften übernachtet. Wir lieben es, die Kultur der Menschen, die Art und Weise, wie sie leben, kennenzulernen. Auch hier in Europa. Es ist nicht so einfach für meine Familie, aber ich bin sehr stolz auf sie. Wir waren ein Jahr in Leipzig, jetzt sind wir hier in Salzburg, und wir sind hier sehr glücklich. Die Leute sind sehr sympathisch, offen und hilfreich. Die Lebensqualität ist ein Wahnsinn.

Sie wurden in einer englischen Zeitung mit dem Satz zitiert, sie würden in Salzburg nicht als amerikanischer Trainer behandelt werden. Wie war das gemeint?
Ich glaube, das hat einerseits mit meinen Deutschkenntnissen zu tun, andererseits auch mit unserem Fußball, und dass wir Erfolg haben. Wäre das nicht der Fall, würde es mehr Fragen geben. Kann er das? Ich muss sagen, wir verbringen hier eine sehr gute Zeit zusammen, und ich glaube, dass die Leute in erster Linie über die Leistung der Mannschaft nachdenken und nicht darüber, was der Trainer gemacht hat. Die Mannschaft reflektiert die Arbeit.

Haben Sie schon Anfragen von anderen, größeren Vereinen bekommen?
Es ist normal, dass viele Mannschaften in Europa auf Red Bull Salzburg blicken. Aber ich denke nur in der Gegenwart. Wenn wir zu viel über die Zukunft nachdenken, vergessen wir, was momentan gerade passiert. Ich bin voll auf Salzburg konzentriert und sehr glücklich hier.