Die Spannung erreicht ihren Höhepunkt. Wie sehr hat der FC Liverpool das Denken bei den Salzburgern in den vergangenen Tagen und Wochen bestimmt?
JESSE MARSCH: Es ist ein großartiges Spiel für uns, aber ich denke, es ist nicht so stark im Kopf präsent, wie vielleicht manche glauben. Wir waren die ganze Saison immer sehr fokussiert, ob das jetzt Liverpool betrifft oder einen anderen Gegner.

Aber das öffentliche Interesse ist auf dieses Spiel gelenkt. Die Erwartungshaltung in Österreich ist gewaltig. Ist sich die Mannschaft der außergewöhnlichen Bedeutung der Partie bewusst?
Ich verstehe, dass Österreich große Lust auf dieses Spiel hat, auch natürlich für Salzburg, für unseren Verein. Es ist eine große Chance für unsere Mannschaft. Aber für uns macht es keinen großen Unterschied, wir hatten schon viele großartige Spiele in dieser Saison. Unsere Jungs waren immer top vorbereitet und auf dem Platz immer hoch konzentriert. Wir sind eine junge Mannschaft, aber es sind gute Jungs, sie sind klug, sehr intelligent.

Haben Sie damit gerechnet, dass Salzburg im letzten Spiel tatsächlich noch eine Chance auf das Achtelfinale haben könnte?
Ja, das war schon unser Ziel. Wir sind aber eher davon ausgegangen, dass Liverpool schon durch sein würde, das war unsere Hoffnung. Dann wäre das unsere Chance, wenn das Spiel für den Gegner nicht mehr so eine Bedeutung hat. Aber jetzt ist es ganz anders gekommen. Liverpool kommt mit der besten Mannschaft, das ist eine große Herausforderung für uns. Aber schon gleich nach dem Spiel gegen Genk habe ich gesagt: warum nicht? Wir haben nichts zu verlieren. Wir haben unser Ziel Europa League erreicht. Ich habe von Beginn an gesagt: Jungs, gehen wir es an! Daran hat sich nichts geändert.

Welche Erkenntnisse hat die Mannschaft im Verlauf der Saison aus den internationalen Spielen gewonnen?
Es war einfach ein Wahnsinn. Wir haben gegen Chelsea und Real Madrid gespielt, das war schon eine großartige Erfahrung für unsere Jungs. Dann kam die erste Champions-League-Partie gegen Genk. Es war ein grandioses Spiel mit einem unfassbaren Ergebnis (6:2). In Liverpool haben wir schon gedacht, okay, es wird nicht so einfach für uns gegen einen Gegner mit einer derart großen Geschichte, in diesem Stadion (Anfield). Die ersten 30 Minuten waren dann ein bisschen ein Schock für uns. Aber wir hatten eine sehr gute Antwort darauf parat und waren dann für 30 Minuten die klar bessere Mannschaft. Am Ende des Spiels hatten wir das Gefühl, dass wir hier gut aufgehoben sind, dass wir in die Champions League gehören.

Glauben Sie, auch aufgrund der Erfahrungen aus diesem Spiel, dass Ihre Mannschaft tatsächlich in der Lage ist, Liverpool zu besiegen?
Mit diesen Erfahrungen sind wir auf jeden Fall viel besser als wir es vor den Spielen in der Champions League waren. Wir hatten schon viele gute Momente, eine gute Ordnung in dieser Saison, das Gefühl ist sehr gut. Und zu Hause haben wir immer eine Chance. Gegen Neapel hat das Ergebnis nicht gepasst, aber die Leistung war super. Wir haben genügend Selbstvertrauen, wir sind bereit.

Haben Sie das Gefühl, dass sich auch in der Mannschaft die Spannung aufbaut?
Schon gleich nach dem Genk-Spiel hatten wir ein Supergefühl, dass wir eine Chance haben. Die Jungs haben immer eine klare Vorstellung von ihrem Spiel. Ich bin immer wieder überrascht über die Mentalität der Truppe. Und das ist einer der Hauptgründe für den Erfolg.

Sie haben mit Jürgen Klopp einen sehr prominenten Kollegen auf der anderen Seite. Glauben Sie, dass er schon ein bisschen nervös ist?
Nein. Sie müssen dieses Spiel schaffen, das ist klar. Sie haben mehr Druck als wir. Aber das ist immer der Fall, das ist für sie nichts Neues. Wir müssen einen klaren Matchplan haben und frei im Kopf sein, wir dürfen nicht zu sehr ans Ergebnis denken, sondern uns darauf konzentrieren, ein gutes Spiel zu machen.

Wie hat man sich speziell auf Liverpool vorbereitet?
Es ist wichtig, gegen den Ball zu agieren, denn sie sind mit dem Ball sehr stark, gut im eins gegen eins, und sie haben eine ungeheure Qualität vor dem Tor, und sind auch sehr gefährlich bei Standards. Wir sollten nicht allzu viele Eckbälle zulassen. Eigentlich sind sie überall gut (lacht). Aber wir müssen auch selbst mit dem Ball das Selbstvertrauen aufbringen, um uns mit dem eigenen Angriffsspiel, dem Umschaltspiel Vorteile zu verschaffen. Daher haben wir auch schon vorher eigene Trainingseinheiten auf Liverpool ausgerichtet.

Haben Sie Schwachstellen bei Liverpool ausgemacht?
Ja, nicht so viele (lacht). Wir haben über dieses Thema oft gesprochen, sie haben vielleicht keine Schwachpunkte. Aber dafür haben wir unsere Stärken. Wir sind gut im Umschalten, auch gut bei den Standards. Wir sind stark im Gegenpressing, es geht in erster Linie darum, wie wir als Mannschaft auftreten.

Zuletzt schien dem Spiel von Salzburg ein bisschen die Leichtigkeit abhandengekommen zu sein. Hatten Sie auch dieses Gefühl? Wie schätzen Sie das ein?
Es ist vieles neu für mich. In den kleinen Stadien der Bundesliga ist es vor allem im Winter ein ganz anderes Spiel als zum Beispiel gegen Genk und vielleicht gelingt es uns in Spielen wie gegen die Admira nicht so gut, uns auf diese Bedingungen einzustellen. Dieses Match war eine Lektion für uns. Der Matchplan entsprach unserem Verständnis von Fußball, aber das war für diese Verhältnisse und auf diesem nicht so guten Platz nicht die richtige Wahl. Außerdem hat es ja zuletzt gegen Tirol wieder sehr gut funktioniert.

In solchen Spielen ist natürlich der Druck auf Salzburg stärker. Wie gehen Sie mit Druck um?
In unserem Leben, im Fußball, ist Druck immer dabei. Für mich ist das aber kein Problem. Wenn du damit nicht umgehen kannst, ist der Fußball nichts für dich. Du musst es annehmen. Wenn der Druck am größten ist, musst du am besten spielen. Wenn du als Fußballer Druck hast, bist du nicht in einem Gefängnis, es bedeutet Freiheit. Wir müssen uns bei Druck frei fühlen. Ich sage immer, Druck ist das, was du selbst daraus machst. Es geht mit der Mentalität einher und das ist wichtig für die Mannschaft, den Verein und auch für mich.

Wie sieht es bei Haaland aus, wie fit ist er?
Er braucht den Rhythmus, daher hat er auch gegen Tirol gespielt. Und er wird gegen Liverpool spielen. Er hat eine tolle Mentalität.

Wie sehr ist die Mannschaft von Haaland abhängig?
Er ist wichtig für uns. Er ist immer torgefährlich. Aber ob mit oder ohne Erling, wir spielen als Mannschaft zusammen. In diesem so großen Spiel ist der Zusammenhalt entscheidend, die taktische Klarheit. Damit hängt auch sehr stark der Erfolg von Erling zusammen. Er ist ein bedeutendes Bindeglied in dieser Mannschaft.

Sie haben als erster amerikanischer Trainer ein Champions-League-Spiel gewonnen. Trägt das in den USA zur Steigerung des Interesses am Fußball bei?
Ich selbst kann das schwer beurteilen. Aber ich habe von Freunden gehört, dass es von vielen Menschen wahrgenommen wird. Die Champions League ist schon ein großes Thema in Amerika. Aber das ist mir nicht so wichtig. Wichtig ist hier der Verein.

Sie meinen die Atmosphäre, die Zusammenarbeit im Verein?
Ja. Wir haben sehr gute Leute, die Zusammenarbeit ist super. Die Menschen hier in Österreich sind so hilfreich, auch was meine Familie betrifft. Ich bin sehr froh, hier zu sein.