Der erst 24-jährige Tiroler Komponist hat sich gemeinsam mit dem Librettisten Klaus Ortner eine wahre Episode aus dem Leben der Schauspielerin und Kabarettistin Liesl Karstadt (1892-1960) als Sujet ausgesucht: Die gefeierte Bühnenpartnerin von Karl Valentin hatte sich nach einem Selbstmordversuch und einem Aufenthalt in einer Nervenklinik ab 1941 auf die Ehrwalder Alm unterhalb der Zugspitze zurückgezogen und dort als Muli-Treiberin Unterschlupf gefunden. Eine Ausnahmesituation in jeder Hinsicht, da das Treiben des falschen "Gustl" illegal war und bei seiner Aufdeckung streng geahndet worden wäre.

Aus einer ähnlichen Grundsituation, dem Versteck einer Gruppe von Deserteuren auf einer Tiroler Alm, hat Bühnen-Profi Felix Mitterer ein kürzlich in Innsbruck uraufgeführtes Stück gemacht: Sein "Vomperloch" spitzt die dramatische Grundsituation in den Konflikten der Protagonisten zu. Herkömmliches, tadelloses Theaterhandwerk. Spitzenstaetter und Ortner gehen einen riskanteren Weg. Sie erzählen lange keine eigene Geschichte, sondern beschreiben die konfliktreiche Ausgangslage an sich. Sie verzichten weitgehend auf das treibende, reibende Element und setzen auf Reim und Poesie, um so spannungsreiche Bilder zu schaffen. Und sie verzichten die längste Zeit darauf, die Fallhöhe aus der schillernden Biografie der Hauptfigur zur erbärmlichen Situation in dem Alpen-Versteck dramaturgisch zu nutzen.

Gerade aber, weil man das Rezept zu kennen glaubt, wie diese außergewöhnliche Geschichte am bühnentauglichsten umzusetzen gewesen wäre, ringt einem "Stillhang" Respekt ab. Das gilt auch für die Musik. Spitzenstaetter setzt auf eine ungewöhnliche Orchesterbesetzung mit viel Percussion, zwei Klarinetten, einem Saxophon, Klavier, Akkordeon und nur vier Streichern. Es ist eine - von seinem eigenem Ensemble KOMP.ART diszipliniert umgesetzte - Musik, die der dramatischen Geschichte alles Laute und Auftrumpfende verweigert, auf Elegisches und Träumerisches setzt und so auch musikalisch eine Gegenwelt herstellt, in der die jungen Männer und die deutlich ältere Frau vom Frieden träumen, von einer Welt, die von der Natur und nicht von Krieg und Ideologie bestimmt wird.

Nicht nur wegen des verwandten Sujets der "Mutter Courage" denkt man immer wieder an Paul Dessau oder Kurt Weill: Spitzenstaetter hat seiner Hauptdarstellerin Isabel Karajan einen Part geschrieben, der weitgehend ohne wirklichen Gesang auskommt, der mit Sprechgesang arbeitet und mit falschen Tönen kokettiert. Während Karajan darstellerisch vieles an Verzweiflung, Verlorenheit und Zerrissenheit einbringt, steht musikalisch der junge Wiener Countertenor Thomas Lichtenecker im Mittelpunkt: Als Fähnrich Michael von Bene, der in dieser Schar aus anderen Gründen mindestens genauso ein Außenseiter ist wie Liesl und bei der Kontrolle durch den Bataillonskommandanten von diesem fälschlich für die gesuchte Frau gehalten wird, hat er als einziger klassisch zu nennende Arien und die berührendsten Momente.

Die von Klaus Ortner selbst inszenierte und mit jeder Menge unterschiedlich verwendeter "Hoanzen" (einfachen Holzgestellen für die Heu-Trocknung auf dem Feld) einfach, aber wirkungsvoll ausgestattete zweieinhalbstündige Aufführung, verweigert sich herkömmlichen Spannungsmechanismen freilich nicht zur Gänze. Die Aktschlüsse zwei und drei rücken jeweils durchs Einschreiten der Obrigkeit die Alm-Idylle nahe an einen tiefen Abgrund, in den alle zu stürzen drohen. Wenn am Ende ein mit geradezu entrückter Hingabe zelebriertes tibetanisches Begräbnisritual für einen abgestürzten Kameraden durch das Auftauchen eines SS-Mannes jäh in die Grausamkeit von Krieg, Terrorregime und Strafkompanie kippt, ist das ganz am Ende doch noch das, was Spitzenstaetter tunlichst vermeiden wollte: große Oper. Die leider einmalig bleibt. Nach der gestern heftig akklamierten Uraufführung ist in Erl keine einzige weitere Aufführung von "Stillhang" angesetzt.