Den Möwen und den Hafenkatzen ist die Ungeduld schon anzumerken. Zu wenig los, zu wenig Frequenz an den Molen und in den Gassen, da fällt zu wenig für sie ab. Vorsaison an Istriens Küste zwischen Rovinj und Pula, in den Touri-Meilen der Altstädte hat alles zu: Fischrestaurants und Kaffeehäuser, Eisdielen und Cocktailbars, T-Shirt- und Souvenirshops, Minimarkets und Schmuckläden. Die Welt wirkt weit weg, die Tragödie um die toten Hamas-Geiseln, deren Leichen heute übergeben werden sollen; die neuesten dramatischen Entwicklungen rund um Donald Trumps absurde Vorwürfe gegen die Ukraine; die jüngsten Erkenntnisse über „Ewigkeits-Chemikalien“ in heimischem Mineralwasser.
Alles ruhig hier; das häufigste Geräusch neben den Schreien der Möwen ist das Heulen der Flex, schließlich müssen die neuesten Apartments bis zum Saisonstart fertig werden. Gefühlt an jedem zweiten Haus hängen die Türstöcke voller Schlüsselboxen. Dauerhaften Wohnsitz hat hier kaum noch wer.
In den Häfen schaukeln die stämmigen Ausflugsboote, die auf Delphin- und Sunset-Touren im Sommer unablässig Buchten, Limfjord, Häfen durchtuckern, wind- und regenfest verpackt im Wasser. Ein Ausflug nach Brioni? Nicht heute, und morgen auch nicht; aber es gibt in Pula ja genug zu sehen, das Amphitheater hat man ebenso für sich wie Augustustempel und Sergierbogen. Außerdem könnte man auch ins Aquarium oder ins Archäologische Museum, aber dafür ist man gerade zu sonnensüchtig: kein Wölkchen am Himmel, man bleibt lieber draußen.
Auch in Rovinj hat alles zu, bis auf ein Gasthaus am Hafen. Pizza, Grill und Fisch preist das Schild an. Eine Portion Cevapcici mit Pommes gibt’s um 17 Euro, aber der Wolfsbarsch für eine Person, wird man bei Rechnungslegung feststellen, kostet fast 70 Euro. Autsch.
Kroatien ist teuer geworden, keinen trifft das härter als die Kroatinnen und Kroaten, die bei einem kolportierten Durchschnittseinkommen von unter 1300 Euro für Basisgüter teils mehr auslegen müssen als unsereiner. Brot und Eier sind um 60 bzw. 50 Prozent teurer als noch vor drei Jahren, im Schnitt kosten Lebensmittel heute um ein Drittel mehr. Da ist es kein Wunder, dass im Land seit Ende Jänner eine großangelegte Boykottaktion läuft, die bei uns noch kaum registriert wird.
Begonnen hat es mit einer viral gegangenen Facebookgruppe namens „Halo Inspektore“: die rief dazu auf, bei Handelsketten, denen Preisabsprachen und Überteuerung vorgeworfen werden, einen Tag lang nicht mehr einzukaufen. Das ergab Umsatzrückgänge bis 50 Prozent bei Ketten wie Lidl, Konzum und Kaufland Croatia. Und es hat gewirkt: Kaufland senkte daraufhin die Preise von rund 1000 Artikeln.
Es ist noch nicht vorbei, der Zorn hält an. Nachrichtenplattformen wie index.hr melden teils groteske Preiswucherungen: In Kanada etwa sind die Schokoschnitten der kroatischen Süßwarenfirma Kraš billiger als im Erzeugerland. Detto das Würzpulver Vegeta. Da wundert also die Wut der kroatischen Konsumenten nimmer. Mittlerweile wird eine Kette nach der anderen bestreikt, und immer freitags generell zum Nichteinkaufen aufgerufen. Diese Woche sei die Supermarktkette Plodine dran, erzählt beim Plaudern in der Apotheke eine Dame. Viel Wirkung, glaubt sie, hätten die Proteste in Istrien aber nicht, „bei uns fahren sowieso alle nach Italien oder Slowenien für ihren Monatseinkauf, das ist viel billiger.“
Wieso ist alles so teuer?, fragt man. Weil der Überzahl der Beamten, die dem kroatischen Staat noch von der Tudjman-Regierung vererbt wurde, alles egal sei, glaubt die Gesprächspartnerin: „Die verdienen ja gut.“ Etliche Ökonomen würden ihr zumindest teilweise rechtgeben. Kroatiens aufgeblähter Beamtenapparat gebühre eine Teilschuld an der argen Inflation, sagen sie – nebst dem Verfall der Landwirtschaft, hohen Importüberschüssen, der Abhängigkeit vom Tourismus, Arbeitsplatzmangel, 25 Prozent Mehrwertsteuer.
Bemerkenswert an den Protesten: Sie haben mittlerweile auf die ganze sogenannte Jugosphäre übergegriffen, auch in Slowenien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und im Kosovo gab es bereits Boykottaufrufe gegen die Teuerung. Und seit dieser Woche gibt es sie auch in Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Albanien. In Tschechien, Slowakien und Griechenland werden entsprechende Proteste vorbereitet. Ob sie alle Fahrt aufnehmen wie in Kroatien, wird sich noch zeigen. Überhaupt: Ob die Boykotte mit den Supermärkten tatsächlich die richtigen Ziele attackieren, gilt manchen als durchaus fragwürdig. Erstaunlich ist auf jeden Fall, wie unmittelbar sich der Protest „von unten“ auswirkt: Handelsketten senken die Preise, Regierungspolitiker schließen sich (etwa in Montenegro und Nordmazedonien) den Forderungen an, in Kroatien fror die Regierung in Reaktion auf die Proteste gar die Preise von 70 Basisgütern ein.
Wie sich die Lage auf den Tourismus auswirkt, wird sich zeigen. Unser So-gut-wie-Nachbarland zählt ja nicht nur zu Österreichs beliebtesten Urlaubszielen. Das Apartment-Boom zieht aus ganz Mittel- und Westeuropa Gäste an, die nicht jeden Abend in der Konoba sitzen wollen, sondern in der Ferienwohnung auch gern selber kochen. Nehmen die heuer in den Sommerurlaub, so wie es einst unsere Eltern und Großeltern gemacht haben, das billigere Essen von daheim mit? Gibt‘s im Urlaub bald wieder Dosenravioli? Hoffentlich nicht. Aber im Restaurant bestellen heuer vielleicht wieder mehr Gäste Cevapcici statt Wolfsbarsch.
Solche Aussichten werden Ihnen die Freude am Frühstück jetzt aber nicht verderben, und auch nicht die Vorfreude auf den Sommerurlaub, hofft
Ute Baumhackl