Corona ist um eine juristische Skurrilität reicher. Wer heute durch die Straßen spaziert, U-Bahn fährt, in die Apotheke oder in den Supermarkt geht, dabei Maske trägt und nicht glaubhaft versichern kann, dass er oder sie wegen der Pandemie Mund und Nase verhüllt, läuft Gefahr, von der Polizei wegen einer Verwaltungsübertretung belangt zu werden. So sehen das jedenfalls auf Anfrage der Kleinen Zeitung das Innenministerium und die Sicherheitsbehörden.

Gesetzlicher Hintergrund des juristischen Graubereichs: Mit dem Wegfall der Maskenpflicht wird wieder das alte Verhüllungs- und Vermummungsverbot voll und ganz wirksam. Dieses Gesetz sieht allerdings vor, dass man aus medizinischen Gründen sein Gesicht verhüllen darf, allerdings muss man dafür, so interpretiert das Innenministerium das Verhüllungsverbot, ein ärztliches Attest vorweisen. Will heißen: Wer jetzt im öffentlichen Raum Maske trägt, müsste eine ärztliche Bestätigung mit sich tragen. Wer diese nicht bei sich hat, macht sich strafbar – wie wenn man bei Rot über die Straße geht.

"Verhältnismäßig einschreiten"

Laut Innenministerium werde die Polizei, wie es heißt, "vor allem in den nächsten Monaten besonders verhältnismäßig einschreiten". Dass Leute abgestraft werden, wenn sie kein ärztliches Attest vorlegen können, dazu werde es vorerst nicht kommen. "Wenn die Person eine gesundheitliche Begründung glaubhaft machen kann, liegt keine Verwaltungsübertretung vor", heißt es im Innenministerium gegenüber der Kleinen Zeitung.   

Im Innenministerium wird beteuert, dass man an einer Lösung des Problems arbeite. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, eine Empfehlung des Gesundheitsministeriums würde reichen, wonach die Menschen auch künftig im öffentlichen Raum bei Bedarf sich eine Maske freiwillig aufsetzen. Polizistinnen und Polizisten könnten dann via Dienstanweisung verpflichtet werden, von Kontrollen und Abstrafungen Abstand zu nehmen.

Im Gesundheitsministerium versteht man die Aufregung nicht ganz. "Für uns ist klar: Das präventive Tragen einer Maske ist nicht strafbar", erklärt ein Sprecher auf Nachfrage der Kleinen Zeitung. "Wir empfehlen das seit Ausbruch der Pandemie." Das aktuelle Gesetz liege beim Innenministerium. Freitagfrüh meldete sich auch Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) zu Wort. Über den Kurznachrichtendienst Twitter stellte er klar: "Maskentragen stellt keinen Verstoß gegen das Vermummungsverbot dar!". An einer entsprechenden Klarstellung werde mit dem Innenministerium gearbeitet.

Funk spricht von "Pflichtenkollision"

Verfassungsprofessor Bernd-Christian Funk bestätigt im Gespräch mit der Kleinen Zeitung, dass sich hier ein Konflikt auftue. Funk spricht von einer "Pflichtenkollision", die allerdings "juristisch sauber zu lösen" sei. "Die Pandemie ist nicht vorbei. Die Untersuchungen der Abwässer bestätigen es nahezu täglich. Das Recht, sich und andere vor der Ansteckung zu schützen, indem man eine Maske trägt, geht vor."

Gesundheit hat Vorrang vor Verhüllung

Aus Sicht des Verfassungsrechtlers sei es widersinnig und "nicht zulässig", von den Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen Maske tragen, ein Attest zu verlangen. Funk geht noch einen Schritt weiter: "Unter den gegebenen Umständen muss man sich nicht einmal mündlich gegenüber der Polizei rechtfertigen." So gesehen sei es gar nicht erst notwendig, dass das Innenministerium auf eine Empfehlung des Sozialministeriums pocht. "Solange das Virus nicht verschwunden ist – und man kann davon ausgehen, dass es nicht so bald verschwindet, wenn überhaupt – ist der Konflikt im Sinn der Gesundheit eindeutig zu lösen."

Funk sieht sogar die Verpflichtung im alten Anti-Verhüllungsgesetz, wonach man ein Attest mitführen musste, wenn man aus gesundheitlichen Überlegungen Mund und Nase verhüllt hat, als nicht zulässig an. "Die Verpflichtung war schon nach der alten Rechtsordnung problematisch."