PRO - Andrea Kdolsky: Der tägliche Zahlenwahnsinn muss ein Ende finden

Es erscheint mir als Angstmacherei, täglich Zahlen in die Bevölkerung zu werfen, die letztlich nicht aussagekräftig sind, aber doch ängstigen und Raum für Gerüchte und Vermutungen lassen.

Die Welt hält seit Februar 2020 sprichwörtlich den Atem an. Wir sind mit einer Pandemie konfrontiert, die aufgrund vieler Faktoren in den meisten Ländern sehr unterschiedliche Verläufe zeigt. Eines ist jedoch in allen Ländern gleich: Die öffentlichen Berichte - egal, ob über die verantwortlichen Gesundheitsorganisationen, oder unterschiedlichste Medien bis hin zu den sozialen Netzwerken - hängen ihre Meldungen an den Infektionszahlen auf. Wir werden fast 24/7 mit Zahlen konfrontiert, die kaum jemand interpretieren kann und die letztlich ohne weitere Faktoren auch keinen Einfluss auf unser Leben haben.

Bevor wir uns aber mit den Zahlen befassen, sollte einmal klar definiert werden – und das ist Aufgabe der Politik – welches Ziel verfolgen wir in dieser Pandemie im öffentlichen Gesundheitswesen für unser Land. Im März 2020 war dieses Ziel klar definiert und auch für alle nachvollziehbar – wir müssen darauf achten, dass das Gesundheitssystem nicht zusammenbricht. Das bedeutet, es müssen genug Akut- und Intensivbetten zur Verfügung stehen und das medizinische Personal soll besonders geschützt werden, um nicht auszufallen und auch dadurch die Versorgung zu gefährden.

Dieses Ziel ist offenbar zunehmend in den Hintergrund getreten, da trotz steigender positiv auf SARS-CoV-2 getesteter Menschen die Kapazität der Spitäler und des Personals nicht exponentiell belastet ist. Durch die massive Steigerung der Tests – auch bei symptomfreien Personen – ist zu erwarten, dass mehr positive Ergebnisse zustande kommen. Dazu ist zusätzlich zu erklären, dass eine positiv getestete Person nicht unbedingt erkranken muss, möglicherweise gar nicht infektiös ist, oder nur leichte Symptome zeigt, die nicht stationär behandelt werden müssen.

Welches Ziel verfolgen wir dann? Wenn es weiterhin um ein funktionierendes Gesundheitssystem geht, erscheint es für mich als eine gewollte, oder ungewollte Angstmacherei täglich Zahlen in die Bevölkerung zu werfen, die letztlich nicht aussagekräftig sind, aber die doch ängstigen und Raum für Gerüchte und Vermutungen lassen. Angst schwächt übrigens in einem hohen Maße das Immunsystem. Die Expertinnen und Experten sollten viel öfter mit Informationen zur Stärkung des Immunsystems an die Öffentlichkeit treten. Daher bin ich überzeugt, dass Testungen nur bei entsprechenden Symptomen, oder im Gesundheitsbereich durchgeführt werden sollten und der tägliche Zahlenwahnsinn endlich ein Ende findet. Transparenz ja, aber bitte verständlich und nachvollziehbar.

CONTRA - Daniela Schmid: Wöchentliche Vergleiche ermöglichen einen klaren Blick

Verlässliche Daten sind die Voraussetzung für die Beurteilung der Entwicklung einer Epidemie. Sie werden transparent kommuniziert und ermöglichen einen klaren Blick auf das Pandemiegeschehen.

Die Berechnung von unterschiedlichen Indikatoren bildet die Basis für die Beurteilung des Risikos für die Bevölkerung durch die Corona-Kommission. Die Höhe der 7-Tages-Inzidenz beispielsweise wird auf Basis von Signalwerten für geringes, mittleres, hohes und sehr hohes Risiko in der Corona-Ampel eingestuft. Die Kommission beurteilt unter Berücksichtigung des aktuellen Datenstands und relevanter Kontextinformationen auf diese Weise das Verbreitungs- und Systemrisiko der Sars-CoV2-Epidemie in der österreichischen Bevölkerung. Diese Daten werden, akkordiert mit den Ländern, jeden Freitag auf corona-ampel.gv.at zur Verfügung gestellt. Diese wöchentlichen Vergleiche ermöglichen einen klaren Blick auf das tatsächliche Pandemiegeschehen.

Eine unserer Hauptaufgaben als Epidemiologen ist die Clusteranalyse, die ebenfalls ohne valide Daten nicht durchführbar wäre: Als Cluster werden Häufungen von Fällen innerhalb eines bestimmten Zeitraums in einer bestimmten Region bezeichnet. In der Abklärung werden die Fälle eines Clusters einander zugeordnet: Man bildet sogenannte Transmissionsketten, die zeigen, wie die Verbreitung zwischen den Fällen vor sich gegangen ist. Mit Stand 7. Oktober konnten wir 27.269 Fälle von insgesamt 51.338 Fällen einem von 4935 Clustern zuordnen. Der Umstand, dass wir auch nach einem halben Jahr Epidemie in der Lage sind, mehr als die Hälfte der Fälle einem Cluster zuzuordnen, zeigt uns, dass die Übertragung nach wie vor hauptsächlich in Clustern vor sich geht und sich das Virus nicht flächendeckend ausbreitet.