Frau Rendi-Wagner, Sie könnten heute die wichtigste Krisenmanagerin im Gesundheitsministerium zur Bekämpfung des Corona-Virus sein. Stattdessen haben Sie den undankbarsten Job der Republik und bitten nun die eigenen Mitglieder um Verbleib.
PAMELA RENDI-WAGNER: Was-wäre-wenn-Fragen sind Energiefresser. Ich sehe in der Mitgliederbefragung, die wir nun starten, eine große Chance für einen gestärkten Neuanfang - nicht für mich, sondern für die Sozialdemokratie.

Ab wann sind Sie persönlich gestärkt?
Je höher die Beteiligung, desto aussagekräftiger ist das Ergebnis. Aber es gibt eben wenig Tradition bei bundesweiten Mitgliederbefragungen und daher wenig Vergleichswerte.

Reichen Ihnen 50 Prozent plus eine Stimme als Zustimmung zur Ihrer Person?
Ich halte es nicht für sinnvoll, mich hier zahlenmäßig festzulegen.

Aber wenn Sie ein Ziel haben, können Sie nicht komplett offenlassen, wann ein Ergebnis positiv und wann es negativ ist – gerade als Wissenschaftlerin.
Die Frage nach dem Vorsitz wird erstmals in der 132-jährigen Geschichte der Sozialdemokratie gestellt. Da gibt es keinen Vergleichswert. Wie die Mitglieder reagieren, weiß man danach. Ich persönlich bin aber überzeugt, dass die Mitglieder die Befragung positiv aufnehmen. Das zeigen mir die vielen Gespräche, die ich führe.

Ist es nicht waghalsig, sich einer Abstimmung zu stellen, ohne jegliche Ahnung, wie sie ausgeht?
Aber warum machen wir denn diese Befragung? Um aus dem Vertrauen, das die Mitglieder uns aussprechen, eine einigende Kraft zu schöpfen. Denn die ist verloren gegangen und die brauchen wir dringend, um wieder politische Erfolge zu haben.

Wann ging die Einheit in der SPÖ verloren?
Intrige und Selbstbeschädigung stehen in der SPÖ leider seit Jahren auf der Tagesordnung. Ein durchgängiges Muster ist dabei die mangelnde Unterstützung und Solidarität mit dem jeweiligen Parteivorsitzenden. Apropos Solidarität: Diese ist innerhalb unserer Partei ausbaufähig. Es ist zu einfach, immer den oder die Vorsitzende alleine für den Misserfolg verantwortlich zu machen. Wir alle in der SPÖ tragen Verantwortung.

Was macht Sie so sicher, dass nach der Befragung in der Partei wieder Ruhe herrscht?
Wir haben nur die Wahl: Weiter machen wie bisher oder die Chance nützen.

Was ist, wenn ein mittelgutes Ergebnis rauskommt, weder totaler Zuspruch noch totale Ablehnung?
Das ist schon wieder eine Was-wäre-wenn-Frage. Es geht hier nicht um mich, sondern um die SPÖ insgesamt und 15 inhaltliche Themen und wo wir künftig Schwerpunkte setzen. Was es nicht braucht, ist ein inhaltlicher Richtungsstreit.

Sie wollen den inhaltlichen Richtungsstreit beenden. Glauben Sie, dass Sie mit der Befragung auch die Personaldebatte beseitigen können?
Es geht hier nicht nur um mich, sondern um uns als Bewegung und unsere Inhalte. Ich gehe davon aus, dass die Meinung der Mitglieder, die wir vertreten, von allen ernst genommen wird.

Die Vertrauensfrage überlagert aber alles.
Es ist kein Widerspruch, die Frage zu stellen und gleichzeitig über Inhalte zu reden. Das bedingt einander vielmehr. Ich stehe für die 15 Inhalte, die wir abfragen.

Die Landesorganisationen halten sich zurück und wollen nicht für die Umfrage mobilisieren. Manche sagen, es gebe derzeit Wichtigeres.
Sprechen die, die das sagen, unseren Mitgliedern die Relevanz ab? Wollen sie sagen, die Befragung der Mitglieder ist nicht wichtig und wir nehmen die Meinung der Mitglieder nicht ernst? Da habe ich ein anderes demokratiepolitisches Verständnis.

Kann man Funktionäre und Basis derart getrennt voneinander sehen?
Ich habe zum Beispiel am Montag in Simmering einen Abend mit 200 bis 300 Funktionären verbracht und starken Zuspruch bekommen.

Es wirkt ein bisschen so, als ob Sie eine Allianz mit der Basis gegen die Elite der Partei bilden wollen.
Ich möchte, dass jene gehört werden, die nicht jeden Tag die Möglichkeit haben, ihre Meinung laut zu sagen. Wenn Sie so wollen, stehe ich für die Vielen und nicht für die Lautesten.

Wenn die Abstimmung zu Ihren Gunsten ausgeht, sind personelle Reaktionen zu erwarten?
Dann geben uns die Mitglieder einen inhaltlichen Auftrag und zur Einigkeit, den wir umsetzen müssen.

Sie planen also Änderungen in der Partei?
Wir werden uns ernsthaft und ehrlich mit dem Votum auseinandersetzen und nicht zur Alltagsroutine übergehen und so weitermachen wie bisher. Denn es geht um ein Miteinander nicht um ein Gegeneinander.

Was heißt das konkret?
Ich werde sicher nicht über Dinge öffentlich nachdenken, die stattfinden könnten, bevor die Mitglieder gesprochen haben.

Der Wiener SPÖ-Chef Michael Ludwig weiß noch nicht, wie er Vertrauensfrage beantworten wird.
Ich gehe davon aus, dass ich seine Zustimmung habe.

Wissen Sie, welche Länderchefs hinter Ihnen stehen?
Ich führe mit allen regelmäßige Gespräche und habe bislang von allen Zuspruch erfahren.

Werner Faymann hat das knapp vor dem 1. Mai 2016 auch noch geglaubt. Befürchten Sie nicht, dass sich jetzt die jüngere Parteigeschichte wiederholen könnte?
Es interessiert mich nicht, wenn irgendwo in einem Hinterzimmer Messer gewetzt werden. Ich habe diese Postenschacherei und diese Ego-Spielchen so satt. Das ist nicht mein Politikverständnis. Mein Politikverständnis ist, dass die Stimme eines einfachen Parteimitglieds gleich viel Gewicht hat wie die eines hochrangigen Funktionärs.

Hat die SPÖ zuletzt auf die richtigen Inhalte gesetzt?
Die Inhalte der SPÖ sind alle richtig. Aber vielleicht haben wir nicht ausreichend Schwerpunkte gesetzt.

Welche Fehler haben Sie in den 14 Monaten als Vorsitzende gemacht?
Wer von uns macht keinen Fehler?

Zählen Sie Ihre Personalentscheidungen in der Parteizentrale zu Ihren Fehlern?
Mein Fehler war es sicher, die Mitgliederbefragung nicht gleich zu Beginn meiner Amtszeit als Vorsitzende durchgeführt zu haben. Kritik gegen meine Personalentscheidungen kamen immer aus den eigenen Reihen. Das hat in unserer Partei leider System.

Ist es nicht auch etwas naiv zu glauben, dass die Heckenschützen nach der Befragung abziehen und es keine innerparteilichen Diskussionen mehr gibt?
Warum ist die Befragung der richtige Weg? Ich möchte nicht sehenden Auges nichts tun und den Weg der letzten 20 Jahre weiter gehen. Durch diese zerstörerische Selbstzerfleischung verliert die SPÖ immer mehr an Kraft.

Ist es für Sie als Frau gefühlt schwieriger als für Männer?
In meiner beruflichen Vergangenheit gab es viele gläserne Decken, an die man stößt. Ich weiß nicht, wie mein Leben verlaufen würde, wäre ich ein Mann. Aber ich habe gelernt, damit zu leben und mich durchzusetzen.

Ist die SPÖ eine Machopartei?
Die SPÖ ist ein Abbild der Gesellschaft. So wie jede andere Partei auch.

Was halten Sie von der Forderung Werner Koglers, Kinder und Frauen aus griechischen Flüchtlingslagern nach Österreich zu holen?
Die Bilder von Frauen und Kindern an den Außengrenzen können niemanden unbewegt lassen. Da muss man sofort handeln. Wir müssen eine sofortige humanitäre Hilfe sichern. Das hat zunächst vor Ort, an der Grenze, zu erfolgen.

Und die Idee, Kinder und Frauen nach Österreich zu holen?
Man muss sofort helfen, man kann nicht wegschauen – und das ist zunächst eine Hilfe vor Ort. Und man sollte sich Gedanken darüber machen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Es wäre vier Jahre Zeit gewesen, eine lösungsorientierte Migrationspolitik zu schaffen. Wenn das geschehen wäre, hätten wir heute nicht diese inhumanen Zustände. Wir brauchen Verfahrenszentren außerhalb der EU mit einheitlichen, schnellen EU-Verfahren. Wir brauchen eine einheitliche und gute Kontrolle der EU-Außengrenzen. Und wir brauchen nachhaltige Hilfe vor Ort.

Wenn Sie sagen „Hilfe vor Ort“, dann ist das eine Ablehnung der Idee, Kinder und Frauen nach Österreich zu holen?
Verantwortung haben alle in der EU zu tragen. Deshalb fordere ich auch einen EU-Sondergipfel, wo rasch Sofortmaßnahmen im humanitären Bereich beschlossen werden. Es braucht eine Gesamtstrategie und eine Gesamtverantwortung. Das wurde vier Jahre lang verabsäumt. Man hat nach dem erfolgreichen EU-Türkei-Deal den Kopf in den Sand gesteckt. Das Ergebnis sehen wir heute.

Die Regierung hat angekündigt, dass Österreich notfalls seine eigenen Grenzen schützen will. Wie kann man sich das vorstellen?
Wenn man dem Bundeskanzler glauben darf, ist die Balkanroute geschlossen. Daher dürfte sich diese Frage eigentlich nicht stellen.

Das Interview fand gemeinsam mit den Bundesländerzeitungen und der Presse statt.