Was ist das Burgenland? Jeder Burgenländer und jede Burgenländerin hat auf diese Frage wohl eine eigene, stillschweigende Antwort im Hinterkopf. Man kommt nicht umhin, sich Gedanken zu machen über die Region, aus der man stammt, in der man lebt, in die man gezogen ist und die man nun zu verstehen versucht. Ich als gestählte Burgenländerin, die halb in Wien, halb in ihrem alten Heimatbundesland wohnt, hätte ein paar Merksätze anzubieten, die das Burgenland für geneigte Restösterreicher vielleicht besser verständlich machen.

Wir sind wenige. Obwohl sich das Burgenland von Norden nach Süden beachtlich in die Länge zieht (was einem vor allem auffällt, wenn man auf ebendieser Strecke unterwegs ist), sind wir ein kleines Bundesland. Wir wissen das. Wir teilen die einzigartige Erfahrung, was es bedeutet, im Burgenland aufgewachsen zu sein, mit dem Nachtbus nach dem Fortgehen in mehr oder weniger alkoholisiertem Zustand durch verwaiste Dörfer gegondelt zu sein, wir teilen die Blasmusik, die Tamburica, die Sehnsucht nach der großen Stadt – oder das Gegenteil: eine gewisse Skepsis gegenüber Städten, die korrespondierend mit ihrer Größe wächst. Begegnet man irgendwo außerhalb des Burgenlandes einem anderen Burgenländer, ist je nach exponentieller Entfernung zur Heimat von wissendem Nicken bis hin zu einer tränenreichen Umarmung alles möglich.

Wir sprechen viele Sprachen. Das freut manche mehr, manche weniger. Mich freut es sehr. Ich freue mich, dass junge Leute in den jeweiligen Volksgruppen ihre Sprache weitertragen und in einen zeitgenössischen, kulturellen Horizont eingliedern, dass bspw. auf Kroatisch geschrieben, gedacht und gesungen wird, nicht nur Antiquiertes, sondern Neues und Spannendes. Ich wundere mich aber auch über die (von den jeweiligen Personen meist nicht erkannte) Peinlichkeit, gegen gefährliche Banden aus dem Osten zu wettern und selbst einen ungarischen Nachnamen zu tragen oder vor den fremdländischen Neuankömmlingen zu warnen und den eigenen, mehr oder weniger fremdländisch klingenden Namen als etwas ganz Normales zu empfinden. Auch diese unbemerkte Doppelbödigkeit ist das Burgenland.

Wir führen ein symbiotisches Dasein mit unseren Autos. Der Burgenländer ist mit seinem Auto verwachsen. Will man ihm das Auto wegnehmen, so könnte man ihn auch gleich dazu auffordern, seine Füße abzusägen; er wäre nur unter Anwendung physischer Gewalt von beidem zu trennen. Das Auto ist gleichbedeutend mit Mobilität, eine andere Form der Fortbewegung existiert praktisch nicht. Es ist im Burgenland nicht so sehr Statussymbol als vielmehr die Garantie dafür, sich den eigenen Bedürfnissen entsprechend durch das Land bewegen zu können. Vonseiten der Politik werden leider immer noch lieber Straßen gebaut als Gleise; und zwar oft mit dem Argument, der Burgenländer würde öffentliche Verkehrsmittel ohnehin nicht nutzen. Da beißt ein Auto aber (um eine nicht gut geölte Metapher zu bemühen) das vor ihm stehende in den Auspuff: Was praktisch nicht vorhanden ist, kann auch nicht genutzt werden. Den Versuch, die öffentlichen Verkehrsmittel zunächst auszubauen und erst danach auf ihre Nutzung zu pochen, wäre es auf jeden Fall wert.

Das wahre Leben findet im Einkaufszentrum statt. Vielerorts wird wehmütig von belebten Ortskernen, von Fleischer und Greißler und Friseur gesprochen, die nun allesamt abgewandert seien; werden Bilder eines vergangenen, regen Dorflebens gezeichnet, das auch außerhalb der Vereine und Gemeindezentren gewissermaßen in den Geschäften stattfand. Obwohl es durchaus Bemühungen gibt, diese Entwicklung umzukehren, stehen in den Ortskernen nach wie vor in Reih und Glied die Autos, mit denen man, richtig, ins nächste Einkaufszentrum fährt. Zwischen den Supermarktregalen trifft man dafür aber wieder Bekannte aus dem eigenen Dorf und führt mit ihnen neben der Wursttheke und über aufgeschichtete Tropenfrüchte hinweg anregende Unterhaltungen.

Viele von uns leben in Wien. Zwar hat das Burgenland keinen wirklich urbanen Raum auf seinem Landesgebiet vorzuweisen, aber dafür ist Wien nicht weit, zumindest vom Nordburgenland aus. Das ist Fluch und Segen zugleich. Viele von uns pendeln jeden Tag, und die meisten tun das, wie erwartet, im Auto. Außerdem: Obwohl man am Land wohnt, ist man schnell in der Stadt mit all ihren Kulturangeboten. Man hat das Beste beider Welten. Andererseits: Viele bleiben, des Pendelns überdrüssig oder gleich im Zuge des Studiums, in Wien hängen. Würde man in Wien die Burgenländer zählen, wäre man lange nicht fertig. Ich bin ja immerhin eine von ihnen, ich muss es wissen. Viele derjenigen Burgenländer, die das Burgenland in seiner Entwicklung wohl am meisten weiterbringen könnten, sind gar nicht mehr im Burgenland; wiewohl viele auch nach langer Zeit noch mit einem Auge nach Osten schielen. Die gute Seite daran: Auch das Burgenland ist von Wien aus nicht weit. Und eine Rückkehr kann auch auf Raten erfolgen.

Viele von uns sind ausgewandert. Es ist noch nicht lange her, da haben Burgenländer die Region nicht nur in Richtung Wien, sondern auch in Richtung Übersee verlassen. Das Burgenland, das als jüngstes Bundesland 1921 zu Österreich kam, war strukturschwach; man konnte sich der Zukunft des Landes weder in politischer noch in wirtschaftlicher Hinsicht sicher sein. Es gab mehr als genügend Gründe zur Auswanderung. Ich habe mich für mein letztes Buch ausführlich mit diesem Thema beschäftigt und kann nun sagen, dass es den Burgenländern im 20. Jahrhundert wie allen anderen Migranten quer durch die Zeiten ging: Ein Teil des Herzens ist immer in der viel besungenen Heimat geblieben, solange man auch weg war. Eine gewisse Sehnsucht, ein Hauch Melancholie waren immer mit dabei.

Kultur findet statt, aber im Geheimen. Das Burgenland hat wundervolle Kulturangebote. Kleine Initiativen, die von der Umwelt – vor allem von den umliegenden Bundesländern – weitgehend unbemerkt im Verborgenen werken, spannende bildende Künstler und Fotografinnen, interessante junge Literatur. Ja, Kultur passiert, aber leider weiß niemand davon. Meine Theorie ist, dass das ganz viel mit der fehlenden Erreichbarkeit durch öffentliche Verkehrsmittel zu tun hat und damit, dass sich zwischen den einzelnen Kulturangeboten so unglaublich viel Landschaft auftut, die tatsächlich nur von Ortskundigen und mit dem Auto überwunden werden kann. Das Burgenland wird auf der Homepage von Burgenland Tourismus als „Land der Sonne“ bezeichnet – nirgendwo scheine so häufig die Sonne wie hier – und ich hoffe für die Zukunft, dass die Sonne einen ihrer zahlreichen, blendenden Strahlen auf die burgenländische Kulturlandschaft werfen wird. Denn viel, was hier passiert, sollte gesehen werden.

Welche Beziehung habe ich zum Burgenland? Ich konnte mich nicht nicht damit beschäftigen, das steht fest. Nach der Schule wollte ich nur hinaus, nur nach Wien, nur ins richtige Leben. Mittlerweile kann ich sagen, dass man das Burgenland nicht unterschätzen sollte. Ja, es gibt in vielerlei Hinsicht noch viel zu tun, aber das kann und sollte man als Herausforderung sehen, als Aufgabe. Ich für meinen Teil bin sehr gespannt, wie die nächsten Jahre am Bett der Raab, am Heiderand – wie es in der Landeshymne heißt – aussehen werden. Was das Burgenland ist und vor allem: was das Burgenland wird, darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.