Sie werden am Samstag 70. Wie erklären Sie sich, dass Sie für eine Generation junger Wienerinnen und Wiener der Inbegriff von Coolness sind?
Michael Häupl: Das ist sehr viel besser, als wenn man als uncool gelten würde. Warum das so ist, kann ich mir nicht ganz erklären. Vielleicht ist es mein Schmäh und dass ich nicht immer alles so ernst nehme. Der Wiener ist grantig und er hat einen Schmäh. Das ist kein Widerspruch, sondern das Gleiche.

Es gibt Fanartikel wie Taschen und Weingläser mit Ihrem Spruch „Man bringe den Spritzwein“ darauf. Macht Sie das stolz?
Die Gläser habe ich auch. Es macht mir Freude, weil offenbar viele denken: Okay, der Alte hat inhaltlich was drauf, eine Haltung und einen Charakter. Ich glaube auch, dass das mit meiner Reaktion auf die Flüchtlingswelle 2015 zu tun hat. Ich habe damals klar gesagt, dass man helfen muss, und habe auch Maßnahmen gesetzt, damit das geschieht. Und ich glaube, dass das vor allem bei jungen Menschen gut angekommen ist.

Sie äußern sich nicht mehr zur Tagespolitik. Wie schwer ist Ihnen das gefallen, als Ex-Minister Kickl die „Ausreisezentrum“-Schilder angebracht hat? Ich stelle mir vor, dass Sie Ihre Nägel in den Esstisch gegraben haben. Liege ich falsch?
Überhaupt nicht. Ich habe nur die Möbel nicht beschädigt. Man beißt sich natürlich schon manchmal auf die Zunge. Und damals ist mir das Schweigen besonders schwergefallen. Bei dieser Aktion habe ich mir gedacht: Das darf doch einfach nicht wahr sein. Aber ich gehe ja davon aus, dass Herr Kickl der nächsten Regierung nicht mehr angehören wird. Und vielleicht auch kein anderer Freiheitlicher.

Glauben Sie das wirklich?
Glauben ist nicht mein Metier, aber ich hoffe es. In den Bereichen Sozial-, Gesundheits- und Bildungspolitik würde ich eine Neuauflage von Türkis-Blau für ein Unglück halten.

Unglücklich sind viele Ihrer Genossen auch über die aktuellen Umfragewerte Ihrer Partei ...
Wenn ich so umfragegläubig wäre wie viele Ihrer Kollegen, dann säße ich nicht hier. Hätten sich die Umfragen vor der Gemeinderatswahl 2015 bewahrheitet, wäre ich nie mehr Bürgermeister geworden.

Sie haben die Medien mehrfach dafür kritisiert, die Sozialdemokratie darzustellen, als sei sie in schlechter Verfassung. Können Sie diese Analyse aktuell so gar nicht nachvollziehen?
Ich kann es schon nachvollziehen, aber nur, weil das Sozialdemokratie-Bashing ein Bestandteil der Desinformationsstrategie von FPÖ und ÖVP ist. Da sind wir zu einem gewissen Teil auch selber schuld, weil wir dem lange nichts entgegenzusetzen hatten – vor allem im Internet. Das wird jedoch von Tag zu Tag besser.

Auch das Hineinfinden in die Oppositionsrolle? Da gab es ja anfangs ordentlich Luft nach oben.
Man muss festhalten, dass es bei der SPÖ damals – wie in Wien – einen Führungswechsel gab. Und deshalb war die Partei mit sich selbst beschäftigt.

Welches Verhältnis haben Sie zu Chefin Pamela Rendi-Wagner?
Ein ausgezeichnetes. Eine intelligente, belesene, gebildete Frau.

Aber ist sie eine Politikerin?
Mit sehr viel Gefühl für die Menschen, das ist essenziell.

Sie haben meine Frage nicht beantwortet.
Doch.

Sind Sie als Biologe überrascht, dass es das Thema Klimaschutz in den Wahlkampf geschafft hat?
Überhaupt nicht, ich beschäftige mich seit 40 Jahren mit diesem Thema. Also: Ja, es gibt den Klimawandel und man muss Maßnahmen dagegen setzen. Aber mit einer Werbeaktion wird das nicht gelingen.

Sie meinen die Segelfahrt von Greta Thunberg nach New York?
Ja. Ich habe nichts gegen diese junge Frau, aber sie ist Teil einer Werbemaschinerie. Mir ist in dieser Debatte wichtiger, zu akzeptieren, was die Leute wollen. Wenn ich ihnen das Schnitzel verbiete, werden sie die Zustimmung verweigern. Angebote statt Verbote. In Wien nutzen 40 Prozent die Öffis, was auch nicht durch das Vergrämen der Autofahrer, sondern durch ein gutes Angebot gelungen ist.

Ein Angebot, das in Wien eher schaffbar ist als auf dem Land.
Ich zeige auch nur einen Weg auf. Es braucht Investitionen in die Nahverkehrsinfrastruktur, das ist gar keine Frage.

Seit Kurzem gehören in den Städten auch Elektroroller zum Angebot ...
Also da bin ich dagegen. Ich hätte heute fast einen zusammengeführt, aber ich war nicht schuld. Der ist aus einer Seitenstraße geschossen. Egal. Solange es hier keine ähnliche Lösung wie für Leihräder gibt, würde ich die Roller verbieten.

Aus der Pension heraus wird das schwer. Aber Hand aufs Herz: Würden Sie Ihren Abgang im Nachhinein anders gestalten?
Nein, warum?

Manche würden ihn als – sagen wir – nicht ideal beschreiben.
Ich weiß, aber das sind Leute, die nicht wohlwollend sind oder nicht wissen, was sich abgespielt hat. Ich würde es heute nicht anders machen. Es war mit Abstand das Ordentlichste und Fairste, weil man gesagt hat, man lässt die Partei entscheiden. Das war ja nicht die erste Doppelkandidatur. Auch Kreisky, der größte Kanzler und Parteiführer der SPÖ, ist aus einer solchen hervorgegangen.

Trotzdem wurde Ihr Abgang von vielen als Putsch gesehen.
Ihr Journalisten seid Gott sei Dank extrem fantasiereich, was ich gut finde. Es war halt nur a Bledsinn. Das war kein Putsch.

Die Grabenkämpfe, die Rebellen in den Flächenbezirken – das haben wir uns alles eingebildet?
Na ja, es hat vielleicht ein, zwei Leute gegeben, die andeutungsweise einen Unfug gesagt haben. Aber das war alles vollkommen übertrieben. Es gab zwei Kandidaten, es wurde entschieden, aus. Ich habe immer gewusst, dass das so richtig war.

Muss Ihr Nachfolger Michael Ludwig vor einem Antritt von Heinz-Christian Strache bei der Wienwahl 2020 zittern?
Im Gegenteil, es wäre ihm ja fast zu wünschen. Ich beschäftige mich aber mit solchen Dingen nicht mehr.

Das glaube ich Ihnen nicht, Sie sind ein zutiefst politischer Mensch.
Das fällt nicht mehr unter Politik, sondern Psychopathologie. In keinem anderen Land würde jemand auf die Idee kommen, dass ein Politiker nach so einem Video kandidiert. Mich hat das Ibiza-Video schockiert. So angsoffen kannst ja gar ned sein.

Haben Sie und Ihre Ex-Landeshauptmann-Kollegen eigentlich eine WhatsApp-Gruppe, in der über Tagespolitik gelästert wird?
Nein, wir sind ja nicht blöd, die könnte ja jemand lesen. Aber ja, man trifft sich einmal im Jahr, weil sich ja doch eine persönliche Beziehung entwickelt hat.

Wie gehen Sie mir Ihrer neu gewonnenen Freizeit um? Und vor allem: Wie geht Ihre Frau mit Ihrer neu gewonnenen Freizeit um?
Ich habe viel mehr Zeit, mich alten Leidenschaften wie der Wissenschaft und der Biologie zu widmen. Und solange ich gut beschäftigt bin, ist das für meine Frau auch kein Problem.

Werden Sie auf der Straße angesprochen und um Selfies gebeten?
Dauernd. Letztens habe ich deshalb für einen 15-Minuten-Fußweg zweieinhalb Stunden gebraucht. Gefreut habe ich mich über ein Selfie mit einer Gruppe junger Studentinnen. Die hab ich gefragt: Wo warts ihr vor 30 Jahren, als ich noch halbwegs jung war? Ah ja – noch gar nicht auf der Welt.