Die Rechtsanwälte stehen auch dem neuen "Sicherheitspaket" höchst skeptisch gegenüber. Nur wenig sei verbessert, einiges sogar verschärft worden, stellte ÖRAK-Präsident Rupert Wolff fest. Nach wie vor fehle weitgehend die richterliche Kontrolle. Damit "reihen wir uns in die Reihe jener Länder ein, die - wie Ungarn oder Polen - Angst vor ihren eigenen Bürgern haben", sagte Wolff im APA-Gespräch.

Der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages hält die Kritik aufrecht, dass Österreich mit diesem Paket einen Schritt Richtung Überwachungsstaat setzt - auch wenn er den Verzicht auf "Sicherheitsforen" begrüßt. Auch mit den von Schwarz-Blau neu aufgelegten Gesetzesvorhaben - der erste Vorstoß der ÖVP war in der Großen Koalition an der SPÖ gescheitert - werden der Polizei zahlreiche neue Überwachungsmöglichkeiten an die Hand gegeben, und dies zum größten Teil ohne richterliche Kontrolle. Weiterhin ist eine Nachfolgeregelung für die - vom Europäischen Gerichtshof und vom Verfassungsgerichtshof gekippte - Vorratsdatenspeicherung vorgesehen, und zwar unter dem Namen "Quick Freeze".

"Da haben wir den Eindruck, dass man versucht, etwas zu verschleiern, indem man den bösen Namen nicht mehr erwähnt", merkte Wolff an. Er ist überzeugt, dass auch diese Regelung wieder aufgehoben wird - würden doch die EuGH-Vorgaben nicht eingehalten: Der Polizei würde mit "Quick Freeze" eine nicht anlassbezogene breitflächige Einsicht in Verbindungsdaten ermöglicht - und das nicht nur für schwere Straftaten, sondern schon ab der sehr niedrigen Schwelle der sechsmonatigen Strafdrohung. Die Frist, binnen der Telekomanbieter Verbindungsdaten aufzeichnen müssen, sei noch dazu von einem halben auf ein Jahr verlängert worden.

Ebenso verlängert seien in der Neuauflage die Fristen für die Speicherung von Video- und Tonaufnahmen privater Rechtsträger wie ÖBB, Busunternehmen oder Einkaufszentren sowie für die Verkehrsüberwachungs-Aufzeichnungen der Asfinag. Letztere gingen "in Wahrheit weit über die Erfassung der Kennzeichen hinaus", bis hin zur Identität des Lenkers könne die Polizei hier alles erheben, kritisierte Wolff die breitflächigen Überwachungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum. Mit der Registrierung der Prepaid-Karten für Handys würden "5,1 Millionen Menschen unter Generalverdacht gestellt".

Der gravierendste Eingriff in die Privatsphäre sei aber nach wie vor der "Bundestrojaner". Die Anwälte hätten zwar Verständnis dafür, dass die Sicherheitsbehörden auch WhatsApp und Skype überwachen wollen. Aber nicht dafür, dass den Behörden unter diesem Vorwand ermöglicht wird, den gesamten Datenbestand und -verkehr eines Computers oder Smartphones auszulesen - mittels Spyware, die entweder per Einbruch in die Wohnung oder unter Ausnützung von Sicherheitslücken im Betriebssystems installiert wird. "Eigentlich muss ein Staat Interesse haben, dass solche Sicherheitslücken geschlossen werden - und nicht daran, dass es möglichst viele Lücken gibt", konstatierte Wolff.

"Höchst bedenklich" sei, dass ein Großteil der Überwachungsmaßnahmen (akustische und Videoüberwachungen, auch die Anordnung zum Quick Freeze) ohne gerichtliche Bewilligung und Kontrolle möglich sein soll. Er fordert Spezialsenate bei den Verwaltungsgerichten - für den (großteils betroffenen) Bereich des Sicherheitspolizei- und Telekommunikationsgesetzes. Denn die Kriterien der Rechtsstaatlichkeit seien nur erfüllt, wenn Richter solche Maßnahmen bewilligen müssen, mahnte der Rechtsanwälte-Präsident.

Die Regierung will mit der in Ausarbeitung stehenden Strafrechtsreform außerdem nicht nur schärfere Strafen für Sexual- und Gewaltverbrechen, sondern auch den Opferschutz weiter ausbauen. Wolff hält beides nicht für nötig. "Es sollte klar sein, dass man die Bestrafung von Straftätern nicht in die Hände der Opfer legen darf", meinte er.

Für die von der Regierung geplante Reform des Strafrechts wurde eine Task Force unter der Leitung der Innenministeriums-Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) eingesetzt - und der Tatsache, dass dafür eigentlich das Justizministerium zuständig ist, entgegengehalten, dass es dabei auch um mehr Prävention und Schutz für die Opfer gehe.

Die Opfer seien aber schon jetzt ausreichend mit Rechten ausgestattet, merkte Wolff an, es gebe sowohl psychologische als auch anwaltliche Betreuung für sie. Keinesfalls dürfte Opfern mehr Mitwirkung im Strafverfahren eingeräumt werden: Die Bestrafung von Straftätern müsse, "wie es in unserer zivilisierten Gesellschaft bewusst eingerichtet wurde", in den Händen der Richter bleiben, Rechtsmittel sollten nur den Staatsanwälten und den Verurteilten offenstehen, nicht aber den Opfern zugänglich gemacht werden. "Der Rachegedanke darf im Strafverfahren keine Rolle spielen", merkte Wolff an. Außerdem dürfe das Strafrecht nicht mit aufwändigen Begutachtungen von Opferschäden aufgehalten werden, denn "eine Strafe muss schnell verhängt werden, wenn sie wirken soll".

Nicht nötig ist aus Sicht der Rechtsanwälte eine weitere Erhöhung von Strafen für Sexual- und Gewaltverbrechen. Deshalb begrüßt Wolff, dass eine von zwei eingerichteten Arbeitsgruppen - und zwar jene im Justizministerium, geleitet von Generalsekretär Christian Pilnacek - die Auswirkungen der großen Strafrechtsreform 2016 evaluieren soll. Damit werde die nötige Entscheidungsbasis geschaffen.

Jedenfalls reformbedürftig sei der Strafvollzug, insbesondere der Maßnahmenvollzug. Wenn darüber in der von Edtstadler geleiteten Innenministeriums-Arbeitsgruppe gesprochen werde, "begrüßen wir das", merkte Wolff an. Denn das Strafrecht funktioniere nur, wenn der Strafvollzug human, sicher und ordentlich abgewickelt werde.