Österreich, am 18. März 2020. An diesem Tag soll Finanzminister Gernot Blümel sein erstes Budget dem Nationalrat präsentieren. Doch die Rede wird abgesagt, die Republik ist seit zwei Tagen im ersten Corona-Lockdown. In der Früh teilt das Ministerium mit, dass aufgrund eines Hilfspakets von vier Milliarden Euro das angepeilte Nulldefizit knapp verpasst werde. Die Erklärung hält keine drei Stunden. Zu Mittag spricht Bundeskanzler Sebastian Kurz jenen Satz aus, der bis heute nachwirkt: „Koste es, was es wolle.“
Dass am Dienstag, rund fünf Jahre später, Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) ein doppeltes Sparpaket vorlegen muss, hat aber nicht nur mit jenem Satz und seinen Folgen zu tun. Denn Österreich hat nicht nur ein Budgetproblem, sondern mittlerweile drei. Sie haben unterschiedliche Ursachen. Wie konnte es so weit kommen?
Österreichs als Budget-Musterschüler a.D.
Als Kurz vor fünf Jahren jene berühmten Worte wählte, war die Reaktion der Expertinnen und Experten einhellig: Das riesige Hilfspaket ist erstens alternativlos und zweitens können wir es uns leisten. „Der Spielraum ist da“, sagte der damalige IHS-Chef Martin Kocher. Vorangegangen waren Jahre der Konsolidierung, die 2019 sogar in einen Budgetüberschuss von zwei Milliarden Euro gipfelten.
Österreich war es unter Rot-Schwarz gelungen, in nur vier Jahren seine Staatsverschuldung von mehr als 85 Prozent als Folge der Finanzkrise auf 71 Prozent zu drücken. Drei Jahre länger und Österreich hätte erstmals das Maastricht-Kriterium (maximal 60 Prozent) erfüllt. Dann kam das Virus.
Die Ausgabenstruktur änderte sich
Doch selbst die üppigen Corona-Zahlungen von mehr als 30 Milliarden Euro im Jahr 2020 haben die Schuldenquote nicht wieder in jene Höhen bugsiert, von wo aus zuvor der Sinkflug gestartet wurde. Anders formuliert: Österreich hatte sich die Hilfsmaßnahmen, auch jene in der Energiekrise aufgrund des Krieges in der Ukraine, wirklich leisten können – und wäre wohl in ein paar Jahren wieder auf dem Vorkrisenniveau gelandet.
Doch im Laufe der Zeit, fast unmerklich, hatte sich die Struktur der Einnahmen und Ausgaben verändert. Österreich bekam ein zweites Budgetproblem, nicht mehr nur die Schuldenquote, sondern auch ein zu hohes Defizit. „Durch die Krisenzahlungen war das verdeckt“, sagt der Ökonom Philipp Heimberger vom Institut für Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Im Vorjahr wurden zwar noch vier Milliarden Euro an Krisenhilfen ausgezahlt, doch das Defizit lag bei 19 Milliarden Euro. Zur Erinnerung: 2019 gab es einen Überschuss.
Budgetäre Wende 2017
Retrospektiv betrachtet wurde die budgetäre Wende schon eingeläutet, da es bereits 2017 außertourliche Pensionsanhebungen und Steuersenkungen gab, die nicht von Einsparungen begleitet waren. Dazu kam nach 2021 eine deutliche Ausweitung der Förderungen, weitere Pensionsbeschlüsse und 2022 dann die Abschaffung der kalten Progression sowie die automatische Valorisierung von Sozialleistungen. Das bewegte Milliarden Euro und wird nun teilweise wieder ausgesetzt.
Das zweite Budgetproblem, also das Auseinanderdriften von Einnahmen und Ausgaben, ist durch die anhaltende Rezession größer und drängender geworden. Die Republik erhält wohl ein EU-Defizitverfahren. Die Konjunkturflaute ist dafür aber nicht allein verantwortlich. Erst ließ man die Ausgaben wachsen, dann brachen noch die Einnahmen weg. Die Dreier-Koalition muss nun ausgerechnet in der Wirtschaftskrise konsolidieren und riskiert damit eine Vertiefung der Rezession.
Wäre dieses zweite Problem nicht ohnehin kompliziert genug, kommt nun ein drittes hinzu: die Auswirkungen des demografischen Wandels, der das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Leistungsbeziehern verschiebt. Wie groß dieses dritte Problem bereits ist, lässt sich nicht so einfach berechnen. Gerade bei den Pensionen gab es seit 2017 eine Reihe von budgetwirksamen Beschlüssen, die einen Gutteil der Mehrausgaben erklären. „Es gibt einen wachsenden Druck, aber die Demografie wird erst mittel- und langfristig ein Problem. Am ehesten sehen wir es bei den Gesundheitsausgaben“, sagt Heimberger.
Die öffentlichen Gesundheitsausgaben lagen zuletzt für die öffentliche Hand bei 40,4 Milliarden Euro, im Jahr 2015 waren es noch 26,5 Milliarden Euro. Die Steigerung liegt markant über der Inflationsentwicklung seither. Dieses dritte Problem ist am schwierigsten zu lösen. Mit Ausgabenkürzungen käme die Regierung nicht sehr weit, es braucht tiefgreifende, strukturelle Reformen. In seinem ersten Budget wird Finanzminister Marterbauer diese noch nicht vorlegen. Aber er müsste sie wohl zumindest ansprechen.