Sollte nach einem Angriff auf einen EU-Staat die Beistandsverpflichtung schlagend werden, müsste auch Österreich seinen militärischen Beitrag zur Verteidigung leisten. Sich weiterhin auf die „Irische Klausel“ zu berufen, könne sich unser Land nicht mehr leisten. Das sagt der ehemalige Armeechef und Leiter der österreichischen Militärvertretung in Brüssel, Günter Höfler, im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. „Trittbrettfahren geht in Zeiten wie diesen nicht mehr“, so der General im Ruhestand.

Der Artikel 42 im EU-Vertrag von 2007, dessen Auswirkungen auch in der österreichischen Bundesverfassung verankert sind, verpflichtet die 27 Mitgliedsstaaten, einem anderen Land im Falle eines bewaffneten Angriffs „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“ zu gewähren. Österreich als Neutraler kann selbst entscheiden, in welcher Form – und sich heraushalten. Höfler hält nur einen Beistand mit militärischen Mitteln für angebracht und hält fest: „Innerhalb der EU ist Österreich nicht neutral, nur nach außen.“

Neutralität komplett neu definieren

Die Neutralität an sich stellt der General nicht infrage, man müsste sie aber komplett neu definieren. Mit der von der Regierung geplanten Überarbeitung der Sicherheitsstrategie böte sich eine Gelegenheit dazu. Vor dem Hintergrund, dass sich die EU militärisch stärker aufstellen will, würde Österreich ohnehin bald vor die Frage gestellt werden, welche Fähigkeiten das Bundesheer in ein künftiges europäisches Verteidigungssystem einbringen will. Eines ist für Höfler unbestritten: „Österreich kann sich nicht alleine schützen. Europa ist bestrebt, mehr für seine Sicherheit zu tun – und da müssen wir voll dabei sein.“

Die Bedrohung durch Russland sei real und die Situation, in der sich Europa aktuell befindet, biete Putin ein günstiges Zeitfenster. „Schwäche fordert den Gegner heraus. Man muss daher eine gewisse Stärke entwickeln, damit man einen Aggressor abschreckt“, erklärt Höfler das Prinzip. Mit Kriegslüsternheit und Militarisierung habe das alles nichts zu tun.

Der Aufbauplan des Bundesheeres mit dem Ziel einer Verteidigungsfähigkeit ab dem Jahr 2032 sei daher der absolut richtige Weg, sagt Höfler. Allerdings müsse die Republik auch über das Militär hinaus ihre Resilienz stärken. Eine Rückkehr zur „Umfassenden Landesverteidigung“ beschränkte sich oft nur auf Papiere, kritisiert der Steirer. So müsste etwa die staatlich koordinierte Krisenbevorratung ausgebaut werden. „Die großen Lebensmittelketten machen das, die sind da oft weiter als die Republik.“ Höfler regt auch die Schaffung von öffentlichen Schutzräumen für die Bevölkerung nach Vorbild Finnlands an. Vom lange angekündigte staatlichen Lagezentrum sei noch nicht viel zu sehen, es müssten insgesamt mehr Vorkehrungen für Krisen getroffen werden. Höfler sieht es als „politische Verantwortung, die Menschen mit der Realität zu konfrontieren.“

Sechs plus zwei Monate Wehrdienst sind Minimum

Einiges abgewinnen kann der Ex-Streitkräftekommandant dem Modell eines einjährigen „Österreich-Dienstes“, wie ihn der Präsident der Offiziersgesellschaft, Erich Cibulka, kürzlich vorgeschlagen hat. Damit würde eine Dienstverpflichtung auf Frauen ausgedehnt. „Ich glaube, dass man der Jugend auch etwas abverlangen kann, damit sie in Freiheit und Sicherheit leben kann“, so Höfler. Ein Dienst für beide Geschlechter könnte zudem als „Motor für die Gleichberechtigung“ bedeuten. Auf jeden Fall sei eine Rückkehr zu verpflichtenden Milizübungen und eine Verlängerung des Grundwehrdienstes das Gebot der Stunde. „Sechs plus zwei Monate sind dabei das absolute Minimum“, betont Höfler. Er geht davon aus, dass die damit befasste Kommission unter dem Milizbeauftragten Erwin Hameseder zu einem ähnlichen Ergebnis kommen wird.