Guten Morgen!
Vielleicht war der zeitliche Zusammenfall ein rein zufälliger. Während nach dem Scheitern der Dreierkoalition zu Jahresbeginn sowie von Kickl-1 vor knapp einer Woche nun ein dritter - und hoffentlich letzter, weil erfolgreicher - Anlauf genommen wird, um fast fünf (!) Monate nach der Nationalratswahl Österreich endlich wieder mit einer handlungsfähigen Regierung auszustatten, flatterte am gestrigen Vormittag eine Aussendung in die Redaktion. Absender war das Büro von Sebastian Kurz. Inhalt: Die israelische Firma des ehemaligen Kanzlers habe nun einen 100 Millionen Dollar schweren Investor an Land gezogen. Mit dem Investment steige die Unternehmensbewertung auf 1,1 Milliarden Dollar. Kurz ist an der Firma „Dream“ mit 15 Prozent beteiligt.
Die erste Reaktion jedes Normalsterblichen: Warum sollte jemand, der offenbar im Geld schwimmt, überhaupt auf die Idee kommen, wieder in die Innenpolitik zurückzukehren? Freilich: Die jüngere Geschichte lehrt uns, dass ein hoffnungsvolles Milliardenprojekt wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen kann. Nach dem Scheitern von Nehammer-1 stand der einstige türkise Hoffnungsträger allerdings ein paar Stunden ante portas. Zumindest wird glaubwürdig kolportiert, dass am 4. Jänner deshalb die Telefone heiß gelaufen seien. Christian Stocker war zu Jahresbeginn nicht die erste Wahl.
In diesen Tagen fällt in den Parteizentralen von ÖVP und SPÖ sowie in der Hofburg, die übrigens innerhalb eines Bermudadreiecks mit maximal 500 Metern Seitenlänge liegen, die Vorentscheidung, wie es in Österreich weitergeht. Wenn man mit den Protagonisten spricht, ergibt sich folgendes Bild: Anders als angenommen liegt der Ball nicht beim Bundespräsidenten am Ballhausplatz, sondern in der Lichtenfelsgasse und in der Löwelstraße. Dem Vernehmen nach gab es bereits am Wochenende intensive Gespräche, um auszuloten, ob die einst Große Koalition nach mehr als sieben Jahren aus den Katakomben der Zweiten Republik wieder exhumiert wird. Eine Große Koalition mit einem ÖVP-Kanzler gab es übrigens zuletzt vor 59 Jahren (Klaus-1). Sowohl Schüssel als auch Kurz regierten kleinkoalitionär.
So wie sich die Dinge darstellen, ist es derzeit sekundär, wann Van der Bellen in der Hofburg bittet, um endlich den Regierungsauftrag zu vergeben. Das Augenmerk ist auf ÖVP und SPÖ gerichtet bzw. auf die Frage, wann beide so weit sind, um zu verkünden, dass sie den Schulterschluss wagen. Ein Insider gestern: „Wenn es innerhalb von zehn Tagen nicht gelingt, kann man es gleich lassen.“ In diesen ganzen Überlegungen spielt Sebastian Kurz - anders als zu Jahresbeginn - keine Rolle mehr.
Allerdings sollten sich alle politischen Beobachter, also auch meine Wenigkeit, die sich so gern rühmen, ganz nahe am Puls des innenpolitischen Geschehens zu sein, in Zurückhaltung üben: Wie oft lagen wir in den letzten Wochen mit unseren Prognosen daneben? Aus heutiger Sicht ist die Bildung einer Expertenregierung ein intellektuell faszinierendes Gedankenexperiment, das realpolitisch mangels parlamentarischer Mehrheit allerdings einer Totgeburt gleichkommt. Neuwahlen können sich ÖVP und SPÖ angesichts schlechter Umfragen und völlig leerer Kassen wirklich nicht leisten.
Möglicherweise entpuppt sich das schreckliche Attentat von Villach noch als Koalitionsturbo. Zum einen hat etwa die SPÖ in den letzten 48 Stunden eine beispiellose Kehrtwende bei der Handy-Überwachung hingelegt, gestern deutete auch der Wiener Bürgermeister ein Einlenken an, zum anderen scheint bei beiden Partnern unter dem Eindruck von Villach mehr denn je die Einsicht zu reifen, dass man die Bevölkerung nicht länger warten lassen kann. Die ÖVP scheint ihr Veto gegen eine Bankenabgabe aufgegeben zu haben, die SPÖ kann sich offenbar mit dem von Blau und Türkis nach Brüssel gemeldeten Budgetkurs anfreunden.
ÖVP und SPÖ müssen ja nicht bei null anfangen, sondern können auf den etwa 300 Seiten, die bis Jahresende unter Einschluss der Neos durchgeackert worden sind, aufbauen. Die Dinge sind also im Fluss, und vielleicht steigt schon diese Woche weißer Rauch über den Katakomben auf. Was zuversichtlich stimmt: Anders als bei den Verhandlungen zu Kickl-1 oder zur Dreierkoalition richtet man sich nicht via Facebook oder über die Medien wechselseitig Unfreundlichkeiten aus.
Mir fehlt angesichts der jüngsten Erfahrungen immer noch die Vorstellung, wie ÖVP und SPÖ ein Zukunftsprojekt mit einer glaubwürdigen Erzählung schmieden wollen. Die Große Koalition hatte sich als ideenloses, kraftloses, mutloses Auslaufmodell entpuppt, das von zwei Parteien getragen wurde, die ihren Zenit überschritten hatten, innenpolitisch in den Seilen hingen und nur des Machterhalts wegen an den Schalthebeln der Republik saßen. Vielleicht sind Stocker und Babler für eine Überraschung gut.
Der heutige Dienstag steht ganz im Zeichen der großen Gedenkfeier in Villach.
Michael Jungwirth