Die prorussische Verwaltung zieht sich nach eigenen Angaben vollständig aus der südukrainischen Stadt Cherson zurück. Der Verwaltungschef der Region Cherson, Wladimir Saldo, sagte am Mittwoch dem russischen Sender Rossija 24: "Ab heute werden alle Regierungsstrukturen der Stadt, die zivile und militärische Verwaltung, alle Ministerien, an das linke Flussufer verlegt." Die russische Armee werde aber in der Stadt gegen die ukrainischen Truppen kämpfen, "bis zum Tod".

"An diesem Frontabschnitt ist die Lage schwierig", sagte der neue Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine, Sergej Surowikin, am Dienstagabend im Fernsehen. Der Auftritt schien nahezulegen, dass Russland einen Rückzug aus der Stadt erwägen könnte. Surowikin sagte, dass "schwierige Entscheidungen" notwendig sein könnten.

Nächtlicher Beschuss

Die russischen Invasionstruppen beschossen die ganze Nacht über die Bezirke Krywyj Rih und Nikopol in der Region Dnipropetrowsk. Dabei sei es zu großen Zerstörungen gekommen, sagte der Leiter der Militärverwaltung der Region, Valentyn Resnitschenko. Getroffen wurde demnach auch die Energieinfrastruktur. Zahlreiche Städte und Dörfer der Region sind von der Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten.

In Krywyj Rih sei ein zweistöckiges Gebäude infolge des feindlichen Angriffs zerstört worden, teilte Resnitschenko mit. Bis zu 60 Granaten trafen demnach zwei Gemeinden nahe Nikopol. Es wurden keine Verletzten gemeldet, aber einige Wohnhäuser wurden beschädigt. In anderen Gebieten heulten die ganze Nacht hindurch Luftschutzsirenen, aber es wurden keine Angriffe gemeldet.

Selenskyj: "Drohnen sind Bankrotterklärung"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bezeichnete den Einsatz iranischer Drohnen durch Russland indes als Bankrotterklärung. "Der russische Hilferuf an den Iran ist die Anerkennung des militärischen und politischen Bankrotts durch den Kreml", sagte er in seiner Videoansprache am Dienstagabend. Moskau habe jahrzehntelang Milliarden Dollar in seinen militärisch-industriellen Komplex gesteckt, doch schließlich müsse es auf "ziemlich einfache Drohnen und Raketen" aus Teheran setzen.

Der Beschuss der Ukraine mit ganzen Schwärmen dieser Drohnen mache den Russen vielleicht taktisch Hoffnung. "Strategisch wird es ihnen ohnehin nicht helfen", meinte Selenskyj. Der Präsident dankte allen Angehörigen der ukrainischen Luftverteidigung, die in den vergangenen Tagen Raketen und Drohnen aus Russland abgeschossen hätten. Er lobte dabei auch das von Deutschland gelieferte Luftabwehrsystem Iris-T: "Das ist wirklich ein sehr effektives System."

Drohnen iranischer Bauart

Die russische Armee hat in den vergangenen Tagen verstärkt Drohnen iranischer Bauart vom Typ Shahed-136 auf die Energieversorgung der Ukraine, aber auch auf Städte abgeschossen. Dabei bestreiten sowohl Moskau wie Teheran ein Rüstungsgeschäft mit den Drohnen. Ein iranischer Außenamtssprecher sagte am Dienstag, man sei bereit, die "unbegründeten" Vorwürfe im Gespräch mit Kiew auszuräumen.

Die US-Zeitung "New York Times" berichtete indes, dass der Iran eigene Ausbildner auf die annektierte russische Halbinsel Krim geschickt hat, um dort russische Truppen mit der Drohnenflotte zu helfen. Die Ausbilder operierten von einem russischen Militärstützpunkt auf der Krim aus, wo viele der iranischen Drohnen stationiert seien, hieß es unter Berufung auf Angaben aus US-Regierungskreisen. Dem Bericht zufolge gehören die Ausbildner dem Korps der Islamischen Revolutionsgarden an, einem Teil des iranischen Militärs, der von den USA als terroristische Organisation eingestuft wird. "Es gibt zahlreiche Beweise dafür, dass iranische Drohnen für Angriffe auf ukrainische Zivilisten und militärische Ziele eingesetzt wurden, obwohl der Iran weiterhin schamlos über seine Beteiligung lügt", sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums zu dem Bericht.

Die Drohnenangriffe sind äußerst umstritten, weil laut humanitärem Völkerrecht Direktangriffe auf die Zivilbevölkerung oder auf zivile Objekte verboten sind. Es besteht außerdem "die Pflicht, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um Tote und Verwundete unter der Zivilbevölkerung und die Beschädigung ziviler Objekte zu vermeiden oder auf ein Mindestmaß zu beschränken".

Weiteres Personal im AKW Saporischschja festgenommen

Die Waffenlieferungen des islamischen Gottesstaats an Russland sollen Diplomaten zufolge am Mittwoch Thema im UNO-Sicherheitsrat werden. Die USA, Großbritannien und Frankreich wollten das Thema während einer Sitzung hinter verschlossenen Türen zur Sprache bringen, heißt es. Einzelheiten werden nicht genannt.

Die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) berichtete indes, dass weiteres Personal des ukrainischen AKW Saporischschja festgenommen worden sei. Konkret gehe es um einen stellvertretenden Leiter des AKWs und zwei weitere Mitarbeiter, teilte die UNO-Behörde am Dienstagabend in Wien mit. Während der Manager wieder freigelassen worden sei, seien die anderen noch nicht in Freiheit. Zuvor war der Chef der Anlage vorübergehend von russischer Seite festgehalten worden. Er kam Anfang Oktober wieder frei. IAEA-Chef Rafael Grossi sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass er demnächst wieder zu Verhandlungen über die Einrichtung einer Sicherheitszone um das von Russland besetzte größte europäische AKW reisen werde.