Nach der Auszählung aller Wahlkreise steht es fest: Die Opposition hat die Parlamentswahlen in Polen gewonnen. Zwar ist die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) klar vor der liberalen Bürgerplattform (PO), doch die drei größten Oppositionsparteien kommen zusammen auf über 50 Prozent. PiS erreicht mit 35,38 Prozent ein deutlich schlechteres Ergebnis als 2019. Donald Tusks (PO) landet mit 30,7 Prozent auf dem zweiten Platz. Dahinter folgen mit 14,4 Prozent der zentralistische "Dritte Weg", mit 8,61 Prozent die "Neue Linke" und mit 7,16 Prozent die rechts-extreme "Konföderation", auf die die PiS als mögliche Koalitionspartnerin gehofft hatte.

Nach den für die rechtspopulistische Regierung bereits niederschmetternden Exit-Polls kam die Auszählung der tatsächlich abgegebenen Stimmen am Montag nur sehr langsam vom Fleck. Dass diese Langsamkeit gewollt ist, darauf deutete etwa das am Montagabend um 18 Uhr immer noch fehlende Resultat der polnischen Staatsbürger hin, die in Ungarn, dem großen Vorbild der PiS, abgestimmt hatten. Die beiden rechten Parteien PiS und "Konföderation" lagen am Montag den ganzen Tag über deutlich höher als bei den Exit-Polls.

Diese Nachwahlbefragungen hatten den drei Oppositionsparteien PO, "Dritter Weg" und "Neue Linke" zusammen 248 von 460 Sitzen im Parlament prognostiziert. "Wir haben gesiegt, wir setzen unser Programm fort, egal, ob als Regierung oder Opposition", mit diesen Worten schien PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski bereits kurz nach Wahlschluss die Niederlage seiner Regierung nicht auszuschließen.

"Ich habe mich noch nie so sehr über den zweiten Platz gefreut. Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen, das ist das Ende der PiS-Regierung", frohlockte hingegen Oppositionsführer Donald Tusk.

PiS unterschätzte Opposition

PiS hatte die Mobilisierungsmöglichkeiten der Opposition unterschätzt. Die Wahlbeteiligung lag mit fast 73 Prozent über 11 Prozent höher als vor vier Jahren. Dazu hatte man bei PiS den Wertewandel in Polen mitsamt einer rapide voranschreitenden Abkehr von der katholischen Kirche verschlafen. Auch das Spiel mit der alten Angst vor Deutschland verfing nicht mehr. Zu guter Letzt hatte PiS augenscheinlich zu sehr auf ein gutes Resultat der Rechtsextremen gesetzt, wohl inspiriert vom Erfolg der AfD in Deutschland.

Referendum verzögerte Auszählung

Ein gleichzeitig mit den Wahlen von PiS verordnetes Referendum verzögerte die Auszählung zusätzlich. Die Opposition schließt nicht aus, dass auch dies von den PiS-Strategen genauso geplant war – zumal das von PiS-nahen Richtern beherrschte Oberste Gericht am Freitag entschieden hatte, dass die Wahlzettel nicht vor den Stimmzetteln des Referendums ausgezählt werden müssten. Bei dem zum ersten Mal seit der EU-Beitrittsabstimmung vor 20 Jahren anberaumten Referendum über Renten, Migration und Privatisierung hat PiS eine große Niederlage eingesteckt. Nach Boykottaufrufen der Bürgerplattform scheiterte das Referendum wegen einer Teilnahme von unter 50 Prozent, obwohl die teilnehmenden Bürger (vor allem PiS-Anhänger) die Regierungswünsche mit 95 bis 97 Prozent Zustimmung angenommen hatten.

"Dritter Weg" als Königsmacher

Als Königsmacher in Polen gilt nun die zentralistische Formation "Dritter Weg", die sich im Wahlkampf zwar oppositionell, aber auch immer wieder zwischen PO und PiS positioniert hatte. Lange drohte das Wahlbündnis der katholischen Reformpartei "Polen2050" mit der kleinen Bauernpartei PSL an der 5-Prozent-Hürde zu scheitern, doch nun kann der "Dritte Weg" laut neuesten Teilresultaten mit mindestens 50 Abgeordneten rechnen. Dies macht beide Bündnispartner auch für PiS attraktiv. "Ich rechne damit, dass 'Dritter Weg' bald wieder zerfällt", sagte Vize-PiS-Chef Antoni Macierewicz. "Wenn wir an eine Koalition denken, dann werden wir natürlich mit der PSL sprechen", sagt das PiS-Schwergewicht Joachim Brudzinski. Koalitionsgespräche mit PiS kämen nicht infrage, hieß es jedoch in Kreisen des "Dritten Weges".