Im Streit um die Justizreform in Israel sind Vertreter der rechts-religiösen Koalition und der Opposition zu ersten Verhandlungen zusammengekommen. Die Gespräche in der Residenz des Präsidenten wurden nach rund eineinhalb Stunden "in guter Stimmung" beendet, wie das Büro von Präsident Yitzhak Herzog anschließend in Jerusalem mitteilte. Die Verhandlungsrunden sollen im Lauf der Woche fortgeführt werden.

Erste Verhandlungen abgeschlossen

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hatte zuvor nach massiven Protesten das Gesetzesvorhaben verschoben, um "Platz für Dialog" zu schaffen. Unklar war, ob bei den Verhandlungen ein vor wenigen Wochen von Herzog vorgeschlagener Kompromissvorschlag als Gesprächsgrundlage dienen sollte. Netanyahu hatte den umfassenden Vorschlag damals als "unausgewogen" zurückgewiesen. Die Opposition stellte sich dagegen dahinter. Auch US-Präsident Joe Biden drängt Netanyahu jetzt zur Aufgabe der Justizreform.

"Ich hoffe, dass er davon abrückt", sagte Biden am Dienstag. Er sei als überzeugter Unterstützer Israels besorgt, sagte der US-Präsident auf die Frage nach dem Zustand der Demokratie in dem Land. "Sie können nicht weiter diesen Weg gehen."

Netanyahu reagierte umgehend mit einer Erklärung. "Israel ist ein souveränes Land, das seine Entscheidungen nach dem Willen seines Volkes trifft und nicht auf Druck aus dem Ausland, auch nicht von den besten Freunden", sagte er. Seine Regierung bemühe sich um Reformen "durch einen breiten Konsens". Den guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern tue Bidens Forderung allerdings keinen Abbruch, erklärte Netanyahu. "Ich kenne Präsident Biden seit über 40 Jahren und schätze sein langjähriges Engagement für Israel." Das israelisch-amerikanische Bündnis sei unzerbrechlich "und überwindet immer die gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen uns".

Keine Einladung ins Weiße Haus

Das sieht Biden offenbar anders: Der US-Präsident verpasste der Aussicht auf einen baldigen Besuch Netanyahus in Washington einen Dämpfer: Auf die Frage, ob er ihn ins Weiße Haus einlade, sagte Biden am Dienstag vor Journalisten: "Nicht in nächster Zeit." Zuvor hatte der Botschafter der USA in Israel, Thomas Nides, eine baldige Einladung für Netanyahu ins Weiße Haus nach Washington in Aussicht gestellt.

Trotz der angekündigten Verschiebung der umstrittenen Justizreform führten die Gegner der Regierungspläne ihren Protest weiter. Vor der Residenz des Präsidenten in Jerusalem versammelten sich am Abend Dutzende Menschen, um gegen den Start der Verhandlungen zu protestieren. "Die Oppositionsführer und der Präsident sollten wissen, dass sie sich an einer von Netanyahu geleiteten Theateraufführung beteiligen", kritisierte ein Sprecher der Organisatoren und forderte einen Stopp der Gespräche. Auch in Tel Aviv kam es am Nachmittag zu Kundgebungen mit Hunderten Demonstranten.

Netanyahus Koalition will mit der Justizreform den Einfluss des Höchsten Gerichts beschneiden und die Machtposition der Regierung ausbauen. Sie wirft dem Höchsten Gericht übermäßige Einmischung in politische Entscheidungen vor. Dem Parlament soll es künftig etwa möglich sein, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Kritiker sehen die Gewaltenteilung in Gefahr und warnen vor einer Staatskrise, sollte die Reform so umgesetzt werden.

Die Vorsitzende der Arbeitspartei, Merav Michaeli, sah wenig Grund zu einem Kompromiss im Sinne des Ministerpräsidenten. "Der Kampf und der Protest müssen fortgesetzt und intensiviert werden." Netanyahu wolle mit seinen Aussagen nur Zeit schinden, letztlich aber genau das umsetzen, wovor so viele Menschen im Land Angst hätten. Trotz der Ankündigung Netanyahus brachte die Koalition am Dienstag einen Gesetzesentwurf zur Änderung der Zusammensetzung des Gremiums zur Ernennung von Richtern im Parlament ein. Oppositionspolitiker sprachen von "einer Waffe am Kopf" während möglicher Verhandlungen.

Mehrere Besuche absolviert

Seit seinem Amtsantritt im November hat Netanyahu bereits mehrere europäische Länder - auch Deutschland - sowie das Nachbarland Jordanien besucht. Aus den USA - dem traditionell engsten Verbündeten - bekam er bisher jedoch noch keine Einladung.

Nachdem am Montag wegen eines Generalstreiks aus Protest gegen die Reform weite Teile des Wirtschaftslebens stillstanden, kehrte am Dienstag wieder normaler Betrieb ein. Auch am internationalen Flughafen hoben wieder Flugzeuge regulär ab. Die Arbeitergewerkschaft hatte sich am Montag an einem landesweiten Streik beteiligt, was zu etlichen Flugausfällen führte. Auch zahlreiche Arbeitnehmer weiterer Branchen hatten ihre Arbeit nach dem Aufruf des Dachverbands der Gewerkschaften niedergelegt.