Durch russischen Beschuss auf einen Bahnhof in der Ukraine sind nach ukrainischen Angaben an deren Nationalfeiertag mindestens 22 Menschen getötet worden. Unter den Todesopfern in Tschaplino in der Region Dnipropetrowsk sei ein elfjähriges Kind, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gestern Abend in seiner täglichen Videoansprache. Durch den Beschuss seien vier Eisenbahnwaggons in Brand geraten. Nach ersten - noch nicht verifizierten - Bildern aus der Region wurde ein Personenzug getroffen. Selenskyj forderte indes per Video bei einer UNO-Sicherheitsratssitzung die Übergabe des umkämpften AKW Saporischschja an die Internationale Atomenergiebehörde IAEO. Gleichzeitig betonte er die Bedeutung des Kampfes seines Landes gegen die russische Invasion.

"Rettungskräfte sind im Einsatz. Es kann leider sein, dass die Zahl der Toten noch steigt", berichtete Selenskyj in einer Videoschaltung mit dem UNO-Sicherheitsrat in New York. "So leben wir jeden Tag. So hat Russland sich auf diese Sitzung des UNO-Sicherheitsrats vorbereitet."

An anderer Stelle des Gebiets Dnipropetrowsk im Zentrum des Landes kam am Mittwoch ein elfjähriges Kind durch russischen Beschuss ums Leben, wie die örtlichen Behörden mitteilten. Im April waren durch einen russischen Raketentreffer auf den Bahnhofsvorplatz der Stadt Kramatorsk im Donbass 57 Menschen getötet worden.

"Welt braucht unsere Unabhängigkeit"

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat in seiner Videobotschaft eine Übergabe des umkämpften AKW Saporischschja an die in Wien ansässige Internationale Atomenergiebehörde IAEA gefordert. Gleichzeitig betonte er die Bedeutung des Kampfes seines Landes gegen die russische Invasion. "Heute feiert unser Land den Unabhängigkeitstag und jetzt kann jeder sehen, wie sehr die Welt von unserer Unabhängigkeit abhängig ist", so Selenskyj am Mittwoch per Video bei einer UNO-Sicherheitsratssitzung.

"Russland muss zur Rechenschaft gezogen werden"

Wenn Russland jetzt nicht aufgehalten werde, "werden russische Mörder wahrscheinlich in anderen Ländern landen - in Europa, Asien, Afrika, Lateinamerika", sagte Selenskyj weiter. "Russland muss für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine zur Rechenschaft gezogen werden". Vor genau sechs Monaten begann Russland die Invasion - anlässlich dessen traf sich auch der Sicherheitsrat. Gleichzeitig ist am Mittwoch ebenfalls der ukrainische Unabhängigkeitstag.

Selenskyj berichtete außerdem über einen Raketenangriff auf einen Bahnhof in der Region Dnipropetrowsk. Es gebe Tote und Verwundete. "So sieht unser Alltag aus", sagte er weiter.

Russland hatte versucht, die Rede Selenskyjs vor dem UNO-Sicherheitsrat zu verhindern. Moskau bekam im mächtigsten UNO-Gremium am Mittwoch in New York nicht den nötigen Rückhalt, um die Videobotschaft Selenskyjs zu verhindern - 13 der 15 Mitglieder waren für einen Auftritt des Präsidenten. Der russische UNO-Botschafter Wassili Nebensja hatte seinen Einspruch damit begründet, dass Selenskyj nicht per Video zugeschaltet werden dürfe, sondern in New York persönlich anwesend sein müsse.

Sorge um Atomkraftwerk Saporischschja

Selenskyj sagte: Eine IAEA-Expertenmission solle "so schnell wie möglich" und dauerhaft die Kontrolle über die von Russen besetzte Anlage Saporischschja übernehmen. Russland müsse seine "nukleare Erpressung" bedingungslos einstellen und sich vollständig von dem Kernkraftwerk in der Ostukraine zurückziehen.

Russland und die Ukraine werfen sich gegenseitig den Beschuss des AKW vor. Es besteht Sorge vor einer nuklearen Katastrophe. Eine prinzipiell von allen Seiten unterstützte IAEA-Mission hat bisher noch kein Grünes Licht von den Konfliktparteien erhalten.

Auch UNO-Generalsekretär António Guterres zeigte sich besorgt über Saporischschja. Er mahnte bei der Sicherheitsratssitzung erneut eine internationale Experten-Mission an, für die es trotz offizieller Unterstützung der Kriegsparteien noch kein grünes Licht gibt. "Die Warnleuchten blinken", so Guterres.

"Der heutige Tag markiert einen traurigen und tragischen Meilenstein", sagte Guterres mit Blick auf die russische Invasion in die Ukraine vor genau sechs Monaten. Tausende Zivilisten seien getötet oder verwundet worden, darunter auch Hunderte Kinder. "Die Welt hat schwere Verletzungen der internationalen Menschenrechtsnormen und des humanitären Völkerrechts erlebt". Ein Ende Juli zwischen Moskau und Kiew ausgehandelter Deal zur Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine mache aber Hoffnung, sagte der Generalsekretär.

Die USA unterstrichen unterdessen ihre Unterstützung für den Abwehrkampf der Ukraine gegen den Aggressor Russland. "Um es klar zu sagen: Die internationale Gemeinschaft wird Russlands Versuch, die Grenzen der Ukraine gewaltsam zu verändern, niemals anerkennen", sagte die amerikanische UNO-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield am Mittwoch bei der Sicherheitsratssitzung.

Die vergangenen sechs Monate hätten schreckliche Gräueltaten, darunter Vergewaltigung, Mord und Folter durch russische Streitkräfte in Städten wie Butscha oder Irpin gebracht, so Thomas-Greenfield weiter. Die Hinweise dafür, dass russische Streitkräfte Hunderttausende Ukrainer, unter ihnen auch Kinder, festgenommen, verhört und gewaltsam deportiert haben, häuften sich weiter. "Ihre Gründe sind klar: Sie wollen die Ukraine zerstören - ihre Kultur, ihre Menschen, ihre Existenz."