Nach der Wahl in Nordirland zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab. Die Auszählung der Stimmen, die am späten Freitagabend pausiert wurde, wurde am Samstag fortgesetzt. Nach Angaben der BBC hat die republikanisch-katholische Partei Sinn Fein nach der ersten Auszählungsrunde den höchsten Stimmanteil erhalten. Demnach liegt sie mit 29 Prozent der Stimmen weit vor der zweitstärksten Partei, der protestantisch-unionistischen DUP, auf die 21,3 Prozent entfielen.

Wie der irische Rundfunk RTÉ am Freitagabend unter Berufung auf Sinn-Fein-Kreise berichtete, ist die Partei zuversichtlich, damit auch die meisten Sitze im Regionalparlament zu erhalten. Für den Landesteil des Vereinigten Königreichs wäre das ein historisches Ergebnis. Sinn Fein galt einst als politischer Arm der militanten Organisation IRA, die mit Waffengewalt für eine Vereinigung Nordirlands mit der Republik Irland kämpfte.

Chefin einer Einheitsregierung

Bestätigen sich die Erwartungen, erhält die Partei das Recht, die Regierungschefin in einer künftigen Einheitsregierung zu stellen. Bisher hatten diesen Posten stets Parteien besetzt, die sich für eine Beibehaltung der Union mit Großbritannien aussprechen. Sinn Fein setzt sich weiterhin für ein vereintes Irland ein, hat dies im Wahlkampf jedoch nicht in den Vordergrund gestellt.

Sinn-Fein-Chefin Michelle O'Neill rief nach der Wahl zum Regionalparlament zu einer Debatte über eine Vereinigung mit der Republik Irland auf. "Lasst uns alle an einem gemeinsamen Plan arbeiten", sagte O'Neill am Freitag der Deutschen Presse-Agentur in der nordirischen Stadt Magherafelt. Sie wolle sich als Regierungschefin Themen wie den steigenden Lebenshaltungskosten und Gesundheit widmen.

Scheitern könnte eine Regierungsbildung unter ihrer Führung allerdings am Widerstand der DUP (Democratic Unionist Party), die einen gleichberechtigten Stellvertreter stellen müsste. Dem als Karfreitagsabkommen bekannten Friedensschluss aus dem Jahr 1998 zufolge müssen die stärksten Parteien aus beiden konfessionellen Lagern eine Einheitsregierung bilden.

Die DUP erklärte am Freitag, sich an keiner von Sinn Fein geführten Regierung zu beteiligen, wenn die britische Regierung und die Europäische Union keinen Durchbruch bei den Handelsgesprächen nach dem Brexit erzielen. "Solange wir diesen Fortschritt nicht haben, werde ich keine Minister für die Exekutive nominieren", sagte Parteichef Jeffrey Donaldson dem irischen Fernsehsender RTE.

Die Alliance Party, die für keines der beiden dominierenden Lager steht, sondern die Grabenkämpfe hinter sich lassen will, vereinte nach der ersten Auszählungsrunde 13,5 Prozent der Stimmen hinter sich. Das bedeutet einen deutlichen Zuwachs von rund 4,5 Prozent im Vergleich zur vergangenen Parlamentswahl.

Sorge vor neuerlicher Gewalt

Nach der Wahl wächst die Sorge vor einer erneuten Eskalation im Streit um den Brexit-Sonderstatus der ehemaligen Unruheprovinz. Der britische DUP-Abgeordnete Sammy Wilson forderte von der Regierung in London, einen Gesetzgebungsprozess in die Wege zu leiten, der dann einen Bruch des Nordirland-Protokolls ermöglicht. "Wir haben es sehr klargemacht, dass die Assembly nicht funktionieren kann, wenn das Gift des Protokolls noch immer da ist", sagte Wilson der BBC am Freitag in der Früh.

Das Nordirland-Protokoll soll verhindern, dass es wegen des britischen EU-Austritts zu neuen Grenzkontrollen zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland kommt. Stattdessen müssen nun Waren kontrolliert werden, wenn sie von England, Schottland oder Wales nach Nordirland gebracht werden. Die DUP fürchtet, diese innerbritische Warengrenze könnte der erste Schritt zur Loslösung der Provinz von Großbritannien sein. Zudem kommt es zu Verwerfungen in bestimmten Bereichen des Handels. Die EU verhandelt zwar über technische Details zu dem Abkommen, schließt aber eine grundsätzliche Neuverhandlung aus.

Spätestens für das Jahr 2024 ist eine Abstimmung im nordirischen Regionalparlament über die Beibehaltung des Nordirland-Protokolls vorgesehen, doch alles deutet darauf hin, dass die DUP dabei von den anderen Parteien überstimmt wird.

Weniger im Vordergrund, aber umso wirkmächtiger ist auch die Frage über eine Vereinigung der beiden Teile Irlands. Die linksnationalistische Sinn Fein hatte das Thema im Wahlkampf deutlich hintangestellt und sich auf soziale Themen wie die steigenden Lebenshaltungskosten, Gesundheit und die Wohnungsnot konzentriert. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Partei mittelfristig auf ein Referendum über die irische Einheit hinarbeitet.

Dass es bald dazu kommt, gilt aber eher als unwahrscheinlich. Der Generalsekretär der regierenden, britischen Konservativen Johnsons, Oliver Dowden, bestätigte am Freitag, dass London einer solchen Volksabstimmung nicht im Wege stehen würde. Voraussetzung sei aber, dass sich eine andauernde Unterstützung der Nordiren für die Vereinigung in Meinungsumfragen abzeichne. Bisher sprechen sich dafür aber gerade einmal etwa 30 Prozent der nordirischen Wähler aus.