Athen und Istanbul sind weniger als eine Flugstunde voneinander entfernt. Aber weil es wegen der Covid-Pandemie derzeit auf der Route keine Linienflüge gibt, musste die griechischen Delegation am Sonntag über Nordgriechenland auf dem Landweg an den Bosporus reisen. Kompliziert war nicht nur die Anreise, auch die Materie ist es. Keiner weiß das besser als Pavlos Apostolidis, der Chef der griechischen Delegation. Der 78-jährige Botschafter a.D. leitete schon in den 2010er Jahren die Sondierungsgespräche mit der Türkei über die Wirtschaftszonen. Sie wurden 2016 ohne Einigung abgebrochen. Dort soll Apostolidis nun anknüpfen.

Es geht um den zurzeit gefährlichsten Krisenherd in Europa: Seit Jahrzehnten streiten Griechenland und die Türkei um die Abgrenzung ihrer Wirtschaftszonen im Mittelmeer. Besondere Brisanz bekam der Konflikt, seit in den 1990er Jahren Erdgasvorkommen unter dem Meeresboden entdeckt wurden. Als die beiden verfeindeten NATO-Verbündeten im vergangenen Sommer Kriegsschiffe in den umstrittenen Seegebieten auffahren ließen, spitzte sich der Streit gefährlich zu. Ab Montag sondieren Diplomaten beider Länder in Istanbul Möglichkeiten einer friedlichen Lösung.

Noch vor wenigen Wochen kreuzte die Türkei mit Fregatten und Forschungsschiffen in Seegebieten auf, die nach der UNO-Seerechtskonvention von 1982 den EU-Staaten Griechenland und Zypern als Wirtschaftszonen zustehen. Ankara erkennt die UNO-Konvention nicht an. Nach viel Säbelgerassel zog die Türkei im Dezember ihre Schiffe aus den strittigen Gebieten ab und erklärte sich bereit zu Gesprächen. Ankara hofft damit Sanktionen abzuwenden, die im März auf der Tagesordnung des EU-Gipfels stehen. Die Gesprächsbereitschaft ist zugleich Teil einer breiter angelegten Kurskorrektur der türkischen Außenpolitik: Der mit Wirtschaftsproblemen konfrontierte Staatschef Recep Tayyip Erdogan sucht bessere Beziehungen zu Europa und den USA.

Schnelle Einigung nicht in Sicht

Eine schnelle Einigung ist aber nicht in Sicht. Die Probleme beginnen schon bei der Tagesordnung. Während Griechenland einzig über die Abgrenzung der Wirtschaftszonen sprechen will, möchte die Türkei auch andere Themen besprechen, wie die Demilitarisierung griechischer Ägäisinseln und die Hoheitsrechte im Luftraum. Schon in der Frage der Wirtschaftszonen liegen die Positionen weit auseinander: Während Griechenland unter Berufung auf das UNO-Seerecht für jede seiner Inseln eine eigene Wirtschaftszone beansprucht, argumentiert die Türkei, dass viele dieser Inseln zum türkischen Kontinentalsockel gehören.

Zwischen 2002 und 2016 haben beide Länder bereits in 60 Gesprächsrunden Lösungsmöglichkeiten erörtert. Über die Diskussionen drang damals wenig nach Außen, man hatte Vertraulichkeit vereinbart. Aber Insider berichten, dass man im Jahr 2011 kurz vor einem Kompromiss gestanden habe. Dass der dann doch nicht zustande kam, lag an der innenpolitischen Situation in Griechenland: Das Land befand sich mitten in der Schuldenkrise und konnte sich nur mit internationalen Hilfskrediten über Wasser halten. Der damalige sozialdemokratische Premier Giorgos Papandreou stand wegen des Sparkurses, den er auf Geheiß der internationalen Geldgeber einschlagen musste, unter großem politischen Druck. Zugeständnisse an die Türkei bei der Abgrenzung der Wirtschaftszonen hätten ihn weiter geschwächt. Im November 2011 musste Papandreou zurücktreten.

Die Kontroverse reiche zwar Jahrzehnte zurück, „aber wir können sie lösen“, sagte der heutige griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis vergangene Woche. „Und wenn nicht, dann können wir sie vor den Internationalen Gerichtshof bringen“, so Mitsotakis. Für eine solche Schlichtung müssten allerdings beide Staaten den Gerichtshof gemeinsam anrufen und sich vorab seinem Urteil unterwerfen, egal wie es ausfällt. Die Türkei lehnt das bisher ab.