Die Wachablösung im Weißen Haus bringt den türkischen Staatschef in Zugzwang. Der scheidende Präsident Donald Trump hielt seine schützende Hand über Recep Tayyip Erdogan, lobte ihn als „großartigen Führer“. Joe Biden hingegen ist ein ausgewiesener Erdogan-Kritiker. Vor einem Jahr bezeichnete er den türkischen Staatschef in einem Interview der „New York Times“ als „Autokraten“ und rief zur Unterstützung der türkischen Opposition auf, „um Erdogan zu besiegen“. Schon als Vize von Präsident Barack Obama prangerte Biden Demokratie-Defizite in der Türkei an.

Erdogan dürfte sich deshalb einen anderen Ausgang der Wahl gewünscht haben. Als einer der letzten gratulierte er dem designierten US-Präsidenten. Aber jetzt streckt er seine Fühler aus: Außenminister Mevlüt Cavusoglu äußert „Wertschätzung für die tief verwurzelten Beziehungen mit den USA“, und Verteidigungsminister Hulusi Akar beschwört die „enge Partnerschaft“ beider Länder.

Kehrtwende

Die Annäherungsversuche sind Teil einer größer angelegten Charme-Offensive. Auch im Verhältnis zur Europäischen Union will Erdogan „eine neue Seite aufschlagen“. Beobachter sehen in den Avancen einen taktischen Schachzug, mit dem Erdogan drohende Sanktionen abzuwenden versucht. Aber die Liste der bilateralen Probleme zwischen der Türkei und den USA ist lang. Ganz oben stehen die türkischen Waffengeschäfte mit Russland. Nachdem Erdogan vergangenes Jahr russische Luftabwehrraketen aufstellen ließ, stornierten die USA die Lieferung fest bestellter und bereits angezahlter F-35-Kampfjets an die Türkei. Auf Druck des Kongresses verhängte Trump im Dezember Sanktionen gegen die staatliche türkische Rüstungsbehörde.

Jetzt hofft Erdogan nach eigenen Worten auf „positive Schritte“ zur Rückkehr in das F-35-Programm. Auf seine russischen Raketen will er aber nicht verzichten, im Gegenteil: Die Türkei verhandle derzeit mit Moskau über eine weitere Lieferung, sagte Erdogan vergangenen Freitag in Istanbul. Kommt es dazu, müsste die Türkei wohl mit weiteren US-Strafmaßnahmen rechnen.

Politischer Sprengstoff

Politische Sprengkraft hat auch der Prozess gegen die staatliche türkische Halk Bank, der im März in New York beginnen soll. Dem Geldinstitut werden Geldwäsche und Verstöße gegen das Iran-Embargo vorgeworfen. In dem Verfahren drohen nicht nur Milliardenstrafen, sondern auch Enthüllungen über eine mögliche Verwicklung von Erdogan-Vertrauten in die illegalen Transaktionen. Trump hielt im Fall Halk Bank seine schützende Hand über Erdogan und feuerte den für die Ermittlungen zuständigen Bundesanwalt. Nach langen Verzögerungen kommt das Verfahren jetzt aber in Gang.

Auch die in der Ära Trump unter den Teppich gekehrten Differenzen in der Syrienpolitik dürften nun wieder aufbrechen. Biden ist ein scharfer Kritiker der türkischen Militäroffensive gegen die syrischen Kurdenmilizen, die in der Vergangenheit der wichtigste Verbündete der USA im Kampf gegen das IS-Terrornetzwerk waren. Die Türkei sei in Syrien „ein echtes Problem“, so Biden. Erdogan müsse dafür „den Preis bezahlen“.

Erdogan und Trump

Mit Trump stand Erdogan in ständigem Kontakt. Der Journalist Carl Bernstein berichtet, mit keinem ausländischen Staatschef habe Trump so oft telefoniert wie mit Erdogan: „Er rief mindestens zweimal pro Woche im Weißen Haus an und wurde immer sofort zu Trump durchgestellt.“ Sogar sein Golfspiel habe Trump unterbrochen, wenn Erdogan auf dem Handy anrief.

Mit dem direkten Draht dürfte es künftig vorbei sein. Schon seit November bemühe sich Erdogan um einen telefonischen Kontakt mit Biden, berichten oppositionsnahe türkische Medien. Bisher kam kein Gespräch zustande. Aber gleich nach Bidens Amtseinführung am Mittwoch werde Erdogan erneut im Weißen Haus anrufen, kündigte Außenminister Cavusoglu vergangene Woche gegenüber Reportern an.