Nach der neuen Vereinbarung über ein Ende aller Kämpfe um die Konfliktregion Berg-Karabach haben russische Friedenstruppen ihren Einsatz begonnen. Die "vollständige" Feuerpause solle eine "dauerhafte" Beilegung des Konflikts ermöglichen, erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin am Montagabend. Armeniens Regierungschef Nikol Paschinian nannte das Abkommen "unsäglich schmerzhaft", der aserbaidschanische Staatschef Ilham Aliyev bejubelte eine "Kapitulation" des Gegners.

Der Konflikt zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken um Berg-Karabach war Ende September wieder voll entbrannt. Seither wurden nach offiziellen Angaben beider Konfliktparteien mehr als 1.300 Menschen getötet, darunter dutzende Zivilisten. Die nun vereinbarte Waffenruhe trat in der Nacht auf Dienstag in Kraft.

Nach Angaben Putins sieht das Abkommen vor, dass beide Seiten die derzeit von ihnen besetzten Gebiete weiter halten. Russische Soldaten sollen demnach im Rahmen einer Friedensmission entsandt werden, um an den Frontlinien zu patrouillieren und einen Korridor abzusichern, der Berg-Karabach mit dem armenischen Staatsgebiet verbindet. Wie das Verteidigungsministerium in Moskau mitteilte, ist die Entsendung von 1.960 russischen Soldaten und 90 Panzerfahrzeugen geplant.

"Unsäglich schmerzhaften Schritt"

Paschinian nannte die Einigung in Onlinenetzwerk Facebook einen "unsäglich schmerzhaften Schritt für mich persönlich und für unser Volk". In das Abkommen habe er nach einer "eingehenden Analyse der militärischen Lage" eingewilligt.

Aliyev sagte triumphierend in einer Fernsehansprache, Paschinian habe keine andere Wahl gehabt, als die "historische Vereinbarung" zu unterzeichnen. Der armenische Regierungschef sei dazu von einer "eisernen Hand" gezwungen worden. Es handle sich "im Wesentlichen um eine Kapitulation".

Tausende Menschen demonstrierten in Jerewan gegen die Waffenruhe. Sie beschimpften Paschinian als "Verräter" und forderten seinen Rücktritt. Hunderte der Demonstranten stürmten den Regierungssitz und das Parlamentsgebäude. Im Regierungssitz verwüsteten sie Büros und zerschmetterten Fenster, im Parlament machten sie sich im Plenumsaal breit.

Die armenische Polizei hat mittlerweile die Kontrolle über den Regierungssitz und das Parlamentsgebäude in Jerewan wiedererlangt, nachdem Demonstranten die Gebäude aus Wut über ein Waffenstillstandsabkommen mit Aserbaidschan im Konflikt um Berg-Karabach gestürmt hatten. Polizisten sicherten Dienstagfrüh den Regierungssitz ab, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Aktivisten kündigten jedoch an, im Laufe des Tages erneut zu protestieren.

Polizisten schnitten eine zum Parlament führende Straße vom Verkehr ab, anschließend wurde das Gebäude geräumt. Eine Gruppe von rund 20 Demonstranten wurde davon abgehalten, eine Straßenblockade zu errichten.

Kurz vor Verkündung der Waffenruhe hatten die aserbaidschanischen Truppen einen russischen Militärhubschrauber abgeschossen. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau wurden bei dem Vorfall nahe der russischen Grenze zu Aserbaidschan zwei Soldaten getötet und ein weiterer verletzt.

"Tragischer Vorfall"

Das aserbaidschanische Außenministerium entschuldigte sich am Montagabend für den Abschuss und sprach von einem "tragischen Vorfall" und einem Versehen. Russland hat eine Militärbasis in Armenien, unterhält aber auch freundschaftliche Beziehungen zu Aserbaidschan.

Die aserbaidschanischen Truppen hatten zuletzt große Geländegewinne erzielt. Am Sonntag verkündete Aliyev die "Befreiung" von Schuschi, der zweitgrößten Stadt in Berg-Karabach. Schuschi liegt in den Bergen über der Regionalhauptstadt Stepanakert und entlang einer wichtigen Straße, die Berg-Karabach mit Armenien verbindet.

Der Konflikt um Berg-Karabach reicht bis in die Zeiten des Zerfalls der Sowjetunion zurück. Damals hatte die mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region einseitig ihre Unabhängigkeit erklärt. Darauf folgte in den 90er Jahren ein Krieg mit 30.000 Toten. Die selbsternannte Republik Berg-Karabach wird bis heute international nicht anerkannt und gilt völkerrechtlich als Teil Aserbaidschans.