Es gibt Fragen, die klingen wie eine Majestätsbeleidigung. Ob die Coronawelle unter osteuropäischen Erntehelfern in Niederbayern nicht vergleichbar sei mit den skandalösen Zuständen in den Schlachthöfen des Großfleischhauers Tönnies in Nordrhein-Westfalen, für die sein Amtskollege Armin Laschet so heftig angegangen worden sei, wird Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zu Wochenbeginn gefragt. Hat hier jemand Laschet gesagt? Mitten in München? Söder bleibt cool: „Die Reaktion war schnell und konsequent.“

Schnell und konsequent, so handelt Söder seit Ausbruch der Coronawelle im März. Strenger als andere Länder hat Bayern den Lockdown vollzogen, später als andere ist der Freistaat zu Lockerungen übergegangen. Das beschert dem CSU-Chef ungeahnte Popularitätswerte – bundesweit. Und da Corona auch noch die Nachfolge an der Spitze der CDU lähmt –der fällige Parteitag ist auf Dezember verschoben – gilt Söder plötzlich als möglicher Kanzlerkandidat der Union für die Bundestagswahl im kommenden Jahr. In einer Umfrage können sich 64 Prozent der Befragten Söder als Kandidaten vorstellen. Alle anderen aus der Union folgen weit dahinter. Friedrich Merz: 31, Armin Laschet: 19, Norbert Röttgen: 14 Prozent. Deshalb gilt für Söder jetzt das Mikado-Prinzip. Nur nicht wackeln. Denn das Virus ist unberechenbar.

Positiv getestete Erntehelfer

Das zeigt sich auch in Bayern. Auf einem Gurkenhof in Mamming sind zweihundert Erntehelfer positiv auf Corona getestet worden. Der Hof steht unter Quarantäne. Die politische Debatte lässt sich schwerer eindämmen. Und so muss sich plötzlich auch Söder unangenehmen Fragen stellen.

„Beim arroganten Umgang der bayerischen Staatsregierung mit dem Gesundheitsschutz von Erntehelfern war es nur eine Frage der Zeit, wann es wieder Corona-Herde in Bayern geben würde“, klagt die FDP-Landtagsabgeordnete Julika Sandt. Söder reagiert ruhig. „Die Zeitachse“, sagt er über die Reaktion seiner Behörden in Mamming, „war sehr in Ordnung“. Dann geht er zum Angriff über: „Corona verzeiht keinen Leichtsinn“, sagt er. „Corona kommt schleichend zurück, leider mit aller Macht.“ Vor „Mini-Ischgls“ warnt Söder. Seine Strategie ist klar: In Bayern ist die Lage an sich unter Kontrolle. Die Gefahr lauert draußen. In den Ferienregionen.

So gibt Bayerns Ministerpräsident den harten Krisenmanager. Ebenso wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erwägt er Pflichttests für Heimkehrer, die ihren Urlaub in Corona-Risikogebieten verbracht haben. Und um zu demonstrieren, wie gut das in Bayern läuft, soll das Testpersonal in den Bahnhöfen in Nürnberg und München auflaufen, dort, wo die Autoreisezüge aus dem Süden anlanden. „Amtshilfe“, nennt Söder das. Für die anderen Bundesländer, versteht sich.

Kann es auch Söder?

Bayern kann es halt. Aber kann es auch Söder? Hält er durch auf dem Weg ins Kanzleramt? Auffallend oft sucht er die Nähe zu Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Im Lockdown-Frühling ist er bei den Pressekonferenzen im Berliner Kanzleramt zur Stelle – als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz. Im Lockerungs-Sommer lädt er Merkel auf Schloss Herrenchiemsee ein. Blauer Himmel, weiße Berge, bayerisches Idyll. Und im goldglänzenden Spiegelsaal des Schlosses darf Söder Bayerns Selbstverständnis demonstrieren. Mia san mia. Es gibt eine Kutschfahrt mit der Kanzlerin und eine Bootstour. Vergessen die Zeiten, als Söders Vorgänger Horst Seehofer Merkel 2015 auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsdebatte auf dem CSU-Parteitag eine Standpauke gehalten hat. Nur einmal wird es brenzlig bei der Politshow auf Herrenchiemsee: „Markus Söder Kanzlerkandidat? Ja!“ steht auf dem Schild eines Anhängers. Söder heuchelt. „Ich kann des jetzt grad gar nicht lesen.“

Rütteln an der Macht

Auch das war schon anders. Als Söder im November 2017 an Seehofers Macht rüttelt, posiert er mit der Jungen Union vor einem Schild: „Unsere Nummer 1“. Das ist Söder jetzt unbestritten in der CSU. Der „Schmutzeleien“ hat ihn Seehofer geziehen. Vorbei. Der Mann gibt nun den Staatsmann. Aber das politische Handwerk beherrscht er noch. Als Grünenchef Bobby Habeck ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen als Voraussetzung für eine schwarz-grüne Koalition fordert, ist der Aufschrei in der Union groß. Nicht bei Söder. Im ZDF-Interview watscht er den eigenen CSU-Verkehrsminister Andi Scheuer ab. Der bekommt die Maut nicht in den Griff und hat einen fehlerhaften Strafkatalog für Temposünder vor gelegt. Auf dem Weg weiter nach oben wirft Söder Ballast ab. „Mein Platz ist in Bayern“, sagt er.

Dass er nicht Kanzler werden wolle, sagt er nicht. Derzeit gelingt ihm vieles. Aber die Mini-Welle von Mamming zeigt, wie fragil das Image als Krisenbeherrscher ist. An seiner Entschlossenheit lässt Söder keinen Zweifel. Die Sommerpause ist gestrichen. „Es sind keine Ferien, kein Urlaub, sondern voll arbeiten“, sagt er. Kein Zweifel. Der Mann hat noch etwas vor.