Das ging schon einmal ordentlich schief. Die scheidende CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer wollte den Übergang selbst moderieren. Noch ehe sie aber gestern den Nachfolgekandidaten Friedrich Merz traf, machte ein anderer mobil. Norbert Röttgen, 54, einst Umweltminister und derzeit Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, tritt ebenfalls für den CDU-Vorsitz an. Er wolle die Partei wieder „gesichert über 30 Prozent bringen“, erklärte Röttgen. Auch die Volkspartei CDU wird bescheiden.

Mit Röttgens Kandidatur sind es plötzlich Vier, die an die Spitze der CDU drängen. Auch Armin Laschet, 59, Regierungschef in Nordrhein-Westfalen, Jens Spahn, 39, Gesundheitsminister und Friedrich Merz, 64, einst Unions-Fraktionschef und heute Wirtschaftsanwalt, streben nach dem Vorsitz – verbunden mit der möglichen Hoffnung aufs Kanzleramt.

Lange Geschichte

Wie Merz verbindet auch Röttgen eine längere Geschichte mit Kanzlerin Angela Merkel. 2012 verlor Röttgen überraschend die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Abtreten als Bundesminister mochte er aber nicht. Erst nachdem CSU-Chef Horst Seehofer („Das können Sie alles senden“) in einem TV-Interview auf politische Konsequenzen pochte, entließ die Kanzlerin Röttgen aus dem Kabinett. Der Geschasste schmollte kurz, widmete sich dann aber sehr gewissenhaft in der CDU der verwaisten Außenpolitik. In der Flüchtlingspolitik blieb er loyal zu Merkel, er blieb aber auch selbstdenkend. Im Vorjahr kritisierte Röttgen den Zustand der Großen Koalition. „Totalausfall“, ließ er über die „New York Times“ wissen. Das ist nicht gerade die feine Art. Immerhin, der Mann wird im Ausland gehört. Das können nicht viele der Mitbewerber sagen. „Es geht um die Zukunft der CDU und es geht um die christdemokratische Idee der Zukunft“, erklärte Röttgen. Auch das klang programmatischer als viele Äußerungen aus dem Kreis der Konkurrenten. Die Frage, die sich für die Union nämlich stellt, lautet: Was bedeutet eigentlich Konservatismus im 21. Jahrhundert? Eine „konservative Revolution“ forderte CSU-Politiker Alexander Dobrindt vor zwei Jahren, ohne das Ganze aber inhaltlich zu füllen. Auch historisch ist der Begriff problematisch, beschreibt er doch die antidemokratischen Strömungen im nationalbürgerlichen Lager in der Weimarer Republik. Der Philosoph Dieter Thomä riet der Union daher zur „Revolutionierung des Konservativen“.

Die Krise im Institutionengeflecht reicht nämlich ziemlich tief. Lange Zeit verlief der Aufstieg von Demokratie und Kapitalismus parallel. Die Wahl Donald Trumps in den USA und Chinas ökonomischer Erfolg wecken an dieser heiligen Allianz aber erhebliche Zweifel. Die Krise erfasst selbst die Institutionen. Und die sind den Konservativen heilig. Doch selbst die Partei gerät ins Wanken. So belegt die wirre Kandidatensuche eine Art Sozialdemokratisierung der CDU. Konservatives Denken „ist gerichtet auf das Vergangene, sofern es im Gegenwärtigen mitlebt“, schrieb Karl Mannheim in seiner Studie „Konservatismus“. Dem revolutionären Umschwung der Linken hält der Konservative die Legitimität des Wandels entgegen.

Laptop und Lederhosen

Die Frage ist: Wie lässt sich in einer Ära der Digitalisierung und Globalisierung die Rasanz der Umbrüche im beschaulichen Nationalstaat überhaupt zähmen? In Österreich setzt Sebastian Kurz auf den Schutz der Grenzen. Die CSU übernahm das gern, federt die ökonomische Modernisierung aber ab mit der Beschwörung des Idylls der Heimat. Laptop und Lederhose – Konservatismus als Lebensgefühl. Die CDU fußte stets auf drei integrierenden Prinzipien: christlich-überkonfessionell, wirtschaftlich liberal und wertkonservativ. Merz kann allein das Wirtschaftsliberale (und die Sehnsucht nach Führung) bedienen. Das dürfte auf Dauer zu wenig sein. Laschet knüpft an die katholisch inspirierte Europa-Idee Helmut Kohls an. Das klingt gut, aber mit Europa werden keine Wahlen gewonnen. Erst recht nicht gegen die AfD. Bleibt das Wertkonservative. Auch das hat sich aber kräftig wandelt. Selbst der Unions-Wähler kennt die alleinerziehende Tochter, und auf dem Familienfest sitzt der homosexuelle Neffe mit Ehemann. Der Erosion von Institutionen wie Partei oder Familie setzen Röttgen und Spahn etwas habituell Konservatives entgegen. Schon Wolfgang Schäuble entdeckte bei der Lektüre seiner Lokalzeitung vor Jahren einen erstaunlichen Wandel. Die abgebildeten Maturanten trugen Anzug mit Krawatte oder langes Kleid. In rasanten Zeiten sucht der Mensch Halt in alten Formen. Konservatismus wird zum vagen Lebensgefühl. Die CDU kann da von der CSU wohl noch Manches lernen.