Zum Abschied wird Annegret Kramp-Karrenbauer noch einmal deutlich. „Die AfD steht gegen alles, wofür die Union eintritt“, sagt die CDU-Chefin am Montag in Berlin. Überraschend kündigt sie ihren Abschied vom Amt der Parteivorsitzenden an. Sie habe sich zu diesem Schritt „nach reiflicher Überlegung entschieden“, berichtet Kramp-Karrenbauer und dann zuerst Kanzlerin Angela Merkel unterrichtet und schließlich die Spitzen der CDU.

Nur fünf Tage reichen, um aus der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten von Thüringen, auch das Zentrum der Macht Berlin zu erschüttern. Die CDU taumelt in eine Krise - und damit auch Deutschland.

Um zu ergründen, was da geschehen ist, am Montag in Berlin, genügt ein Blick auf drei Zahlen in der Geschichte der Bundesrepublik. 25 Jahre stand Helmut Kohl, der Kanzler der Einheit, an der Spitze der CDU. Auf 18 Jahre als Parteivorsitzende kam Angela Merkel, die Frau, die Europa durch die Eurokrise manövrierte. Und Konrad Adenauer, Vater Europas und der Bundesrepublik, führte die Union über 16 Jahre lang. Kramp-Karrenbauer kündigt schon nach nicht einmal 14 Monaten ihren Rückzug an. Die CDU war immer ein Stabilitätsanker in der Nachkriegsgeschichte. Nun schlingert auch die Union. Eine verhängnisvolle politische Kettenreaktion.

Aus dem Saarland nach Berlin

„Die Mitte“ steht über Annegret Kramp-Karrenbauer, als sie am Montagnachmittag in der Berliner CDU-Zentrale vor die Presse tritt. Vor zwei Jahren hatte die Politikerin ihr Amt als Regierungschefin im Saarland aufgegeben und war in die CDU-Zentrale gewechselt. Zunächst als Generalsekretärin, im Dezember 2018 setzte sie sich nach heftigem Wettbewerb gegen den jungen Konservativen Jens Spahn und den Machtmenschen Friedrich Merz im Kampf um den CDU-Vorsitz durch. Auf Angela Merkel folgte wiederum eine Frau an der Spitze der Union. Nicht nur die alten Männer murrten. Da nutzte es AKK wenig, dass sie sich gesellschaftlichen Fragen wie der Homoehe viel wertkonservativer positionierte als Merkel.

Die Kritik an Kramp-Karrenbauer verstummte nie. Das eine Mal zürnte die liberale Mitte über mäßige Karnevalswitze zum dritten Geschlecht. Das andere Mal die eigene Partei, weil sie entgegen ihrer Zusage doch ins Kabinett eintrat und der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin nachfolgte. Noch vor elf Wochen musste Kramp-Karrenbauer den eigenen Parteinachwuchs zur Ordnung rufen, der die CDU-Basis über den Kanzlerkandidaten abstimmen lassen wollte. „Dann lasst es uns hier beenden“ hatte sie auf dem Deutschlandtag der Jungen Union gesagt. Kein Zweifel, in der CDU-Chefin brodelte es.

In einer Hand

Kramp-Karrenbauers Analyse am Montag fällt klar aus. "Kanzlerkandidatur und Parteivorsitz gehören in eine Hand“, sagt sie. Wer mochte, konnte dies als leise Kritik an Merkel verstehen. Die hatte vor zwei Jahren zwar den Parteivorsitz aufgegeben, aber an der Kanzlerschaft festgehalten. Kramp-Karrenbauer selbst fühlt sich nach den Auseinandersetzungen um die Abgrenzungen zur AfD innerparteilich zu geschwächt, um die Union in die nächste Bundestagswahl zu führen. Sie gibt entnervt auf. Spätestens im Dezember erfolgt der Rückzug von der Parteispitze. Für wen, das ist unklar. Armin Laschet, Regierungschef in Nordrhein-Westfalen, fehlt am Montag bei den Beratungen in Berlin.  Friedrich Merz erklärt lapidar: „In solch einer Situation ist kluges Nachdenken wichtiger als schnell zu reden.“ Gesundheitsminister Jens Spahn, noch ein potenzieller Kandidat, stellt knapp klar: Es gehe jetzt um den „Zusammenhalt der Partei“.

Und um die politische Stabilität im Land. Nicht wenige vergleichen die Lage in der CDU mit jener der SPD nach dem erzwungenen Abgang von Kurt Beck im Jahr 2008. Von der „Sozialdemokratisierung der Union“ ist oft die Rede. Das war programmatisch gemeint. Doch spätestens seit sich der zum Rücktritt gedrängte Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen zum heimlichen Kopf der stramm konservativen Werteunion aufschwang und sich selbst als Regierungschef in Thüringen ins Gespräch brachte, war klar: Auch die CDU verliert sich in sektiererischer Selbstschau – so wie seit langem die SPD. Der Union droht der Verlust des Status der Volkspartei. „Der nächste Kanzlerkandidat wird kein Kanzler, wenn wir so weitermachen“, mahnt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, noch immer eine graue Eminenz in der CDU.

Rotes Abwarten

Die Sozialdemokraten verfolgen den Machtkampf in der Union gespannt. Kramp-Karrenbauer bekennt sich am Montag zur Großen Koalition. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sieht das anders. „Die CDU muss ihr Verhältnis zu Rechtsextremen klären“ bedrängt er die CDU. Auch die SPD ist nervös. In zehn Tagen sind Landtagswahlen in Hamburg, die Sozialdemokraten kämpfen um den Machterhalt in ihrer einstigen Hochburg.

Es herrscht ein Hang zum Destruktiven derzeit in Deutschland. Niemand verkörpert das mehr als FDP-Chef Christian Lindner. Zauberlehrlinggleich hatte er nach der Wahl 2017 ein Jamaika-Bündnis aus Union, Liberalen und Grünen scheitern lassen. Seine stille Hoffnung: Die Union möchte sich der Kanzlerin entledigen. Die gab nur den CDU-Vorsitz auf. Nun trifft Lindners gefährliches Taktieren in Thüringen Annegret Kramp-Karrenbauer. Sicher, sie hat ihren Abgang auch selbst verschuldet. Aber es gibt eine gefährliche Neigung zum disruptiven Element im Land. Der Mangel an Konstruktiven klingt nicht gut für Deutschland. Und erst recht nicht für Europa.