Es ist der 27. Jänner des Jahres 1945. Ein Samstag, für Juden der Sabbat, der siebente Tag in der Woche, ein Feiertag. In den Morgenstunden dringt eine Aufklärungseinheit der Roten Armee zum Lager Auschwitz III Monowitz vor. Die Soldaten finden an die 600 zum Skelett abgemagerte Menschen vor und Berge an Leichen. Am Nachmittag erreichen die Rotarmisten das Hauptlager des Konzentrationslagers Auschwitz und die Vernichtungsstätte Birkenau. Nur wenige SS-Männer leisten Widerstand, die meisten haben längst mit dem Näherrücken der Front das Weite gesucht. Sie schleppen 60.000 noch gehfähige Häftlinge mit, auf den Todesmarsch in Richtung Westen. Häftlinge, die zusammenbrechen und nicht mehr weiterkönnen, werden sofort erschossen.

Diesen 27. Jänner, den Tag der Befreiung von Auschwitz, erklärten die Vereinten Nationen 2005 zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts, der Verschwörung eines ganzen Staates gegen die Juden Europas, die mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten Ende Jänner 1933 in Deutschland begann.

... dann nahm man ihnen Eigentum, schließlich das Leben

Antisemitismus, vielfach religiös gefärbt, war keine Erfindung der Deutschen, sondern durchzieht die Jahrhunderte europäischer Geschichte. Man verbot Juden die Ausübung von Handwerken, verbannte sie in Gettos, immer wieder kam es zu Pogromen. Doch erst die Nationalsozialisten verstaatlichten den Antisemitismus, machten die generelle Ausgrenzung, Entrechtung und schließlich die Vernichtung von Juden zu einem Staatsziel. Zuerst hetzten sie mit primitiven Unwahrheiten gegen jüdische Mitbürger, schürten den Hass, um die „Volksgenossen“ für Mitgefühl angesichts geschundener Menschen zu immunisieren. Schritt für Schritt begann das Dritte Reich, den Juden alles zu nehmen, zuerst die Entkleidung aller bürgerlichen Rechte, dann nahm man ihnen Eigentum und schließlich das Leben.

Wenige Wochen nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler wurden jüdische Beamte aus dem Staatsdienst entlassen, jüdische Ärzte verloren ihre Verträge mit den Krankenkassen, jüdischen Anwälten wurde die Zulassung entzogen. Die brüllenden braunen Horden verhängten einen Boykott über Geschäfte von Juden. Ab 1935 durfte man nur noch mit Ariernachweis der Reichskulturkammer angehören, ein Berufsverbot für jüdische Künstler. Im gleichen Jahr erließen die Nazis im Rahmen des „Reichsparteitages der Freiheit“ die sogenannten „Nürnberger Rassegesetze“ und schlossen die Juden praktisch als Bürger des Reiches aus. Im November 1938 die Reichspogromnacht, in der Synagogen angezündet, jüdische Friedhofe geschändet und Juden misshandelt und auch schon ermordet wurden. Per Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen zwang man Juden, die vielleicht Karl oder Monika hießen, also nicht klar jüdische Namen trugen, zusätzliche Vornamen, Israel und Sara, auf. Dieses Gesetz wie auch andere „Judengesetze“ entwarf ein gewisser Hans Globke, Spitzenjurist im Berliner Innenministerium, der 1956 den zweithöchsten österreichischen Orden erhielt und bis heute in der Liste der höchsten Ordensträger der Republik aufscheint.

Spirale drehte sich immer weiter

Die Spirale drehte sich weiter. 1939 entzog das Nazi-Regime per Gesetz Juden die Mietrechte, nahm ihnen damit ihre Wohnungen, die Unternehmen enteignete der Nazi-Staat per Zwangsarisierung. Zwei Jahre später die Verfügung, dass das Vermögen deportierter Juden zugunsten des Reiches verfällt. Ein weiterer Erlass verpflichtete zudem Deutsche, in der Öffentlichkeit keine freundschaftlichen Beziehungen zu Juden erkennen zu lassen, bei Zuwiderhandeln drohten drei Monate Schutzhaft. Juden selbst mussten nun den gelben Judenstern tragen. Maßnahmen auf Maßnahmen, um die Verfemten als Unmenschen abzustempeln.

Immer wieder aufgetauchte Ideen, Juden irgendwo nach Madagaskar oder sonst wohin zu deportieren, verflüchtigten sich. Die Herrenmenschen des Dritten Reiches beschlossen, ihren seit Jahren gedroschenen Slogan „Juda verrecke“ in die Tat umzusetzen. Vor allem nach dem Überfall auf die Sowjetunion begannen Einsatzgruppen der SS hinter der Front mit Massenerschießungen der Bevölkerung. Fahrbare Gaskammern erwiesen sich für die geplanten Massenmorde als nicht geeignet.

In der berüchtigten Wannsee-Konferenz verständigten sich im Jänner 1942 die Vertreter der Reichsbehörden über die künftige Organisation des Holocausts, die Ermordung der Juden Europas. Ein Staatsapparat beschloss den Völkermord. Mit dem Konzentrationslager Auschwitz im besetzten Polen als große Vernichtungsstätte. Wohin Juden aus allen Teilen der besetzten Gebiete in Viehwaggons gepfercht verschafft wurden. Wer arbeiten konnte, fand noch als Arbeitssklave Verwendung, die anderen, besonders alte Menschen, wurden sofort nach dem Ausladen der „Sonderbehandlung“ zugeführt. Diese beschrieb Eugen Kogon im Buch „Der SS-Staat“ so:

"Die Einrichtung sah wie ein Bad aus und wurde den Opfern auch als solches bezeichnet. In einem Ankleideraum stand in den europäischen Hauptsprachen angeschrieben, dass man die Kleider geordnet hinlegen und die Schuhe zusammenbinden solle, damit sie nicht verloren gingen, nach dem Bad werde es heißen Kaffee geben. Vom Ankleideraum führte der Weg direkt ins „Bad“, wo aus den Duschen und Ventilatorenpfeilern das Blausäuregas einströmte, sobald die Türen geschlossen waren. Nicht selten wurden Kleinkinder, wenn die Kammern vollgepfercht warten, noch durch die Fenster hineingeworfen. Je nachdem wie viel Gas vorhanden war, dauerte der Erstickungstod bis zu vier und fünf Minuten. Währenddessen hörte man von drinnen das entsetzliche Schreien der Kinder, Frauen und Männer, denen es langsam die Lungen zerriss. Gab nach dem Öffnen der Kammern noch irgendein Körper Lebenszeichen von sich, so wurde er mit Knüppeln bewegungslos geschlagen."

Im Schichtbetrieb erfolgte das Morden in Auschwitz. An einem Spitzentag vermeldete die SS eine Höchstleistung von 34.000 vergasten Juden. Die Entsorgung und Verbrennung der Leichen oblag aus jüdischen Häftlingen zusammengestellten Sonderkommanden. Einige der zwangsweisen Helfer schrieben das Gesehene in Briefen nieder und vergruben diese, um sie der Nachwelt zu erhalten. Salmen Gradowski, dessen Angehörige in Auschwitz den Mordgesellen zum Opfer fielen, war einer der Schreiber „Im Herzen der Hölle“, so titelte er und beschrieb den letzten Weg von Todgeweihten:

Mütter mit Säuglingen auf den Armen gehen vorbei, jemand führt das Kind an der Hand. Die Kinder werden unentwegt geküsst: Geduld ist dem Mutterherzen fremd. Siehe nur, da gehen in fester Umarmung die Schwestern, ohne sich voneinander zu trennen, als wären sie zu einem Ganzen verschmolzen. Sie wollen zusammen in den Tod gehen.

Bei einem Aufstand des Sonderkommandos 1944 fand Salmen Gradowski den Tod. Die Zahlen der in Auschwitz ermordeten Juden variieren. Kommandant Rudolf Höß nannte im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zweieinhalb Millionen. Die meisten Historiker beziffern die Opfer von Auschwitz mit 1,1 oder 1,5 Millionen.

Salmen Gradowski, eines der Opfer des Holocausts und des Mordens in Auschwitz, überlieferte der Nachwelt seine Hoffnung: „Möge die Zukunft anhand meiner Aufzeichnungen ihr Urteil über uns sprechen und möge die Welt in ihnen einen Tropfen, ein Minimum jener schrecklichen, tragischen Todeswelt erkennen, in der wir lebten.“