Es ist der vierte Advent: Elaine Alam faltet die Hände zum Gebet. Vier wachsame Augen huschen stets über sie. Bewaffnet mit einem Sturmgewehr Typ 56, schreiten zwei uniformierte Männer am Eingang der St. Mary’s Kirche in Lahore auf und ab. Freiwillige behalten die Türen im Auge. Dieser Tage kann jedes unbekannte Gesicht Bedrohung bedeuten.

Nur der 25. Dezember ist in Pakistan ein Feiertag, doch wenige Christen im Land haben eine formale Anstellung. Ohne Anmeldung sind sie für den Haushalt muslimischer Arbeitgeber zuständig oder richten in Salons überall in Lahore, Karachi oder Islamabad die Haare von Kundinnen, die deutlich wohlhabender sind als sie. Zu Weihnachten nicht arbeiten und die Feiertage begehen zu können ist für sie keine Selbstverständlichkeit. Nicht alle Arbeitgeber seien so „gnädig”, ihre schwarz arbeitenden Kräfte am 24. Dezember in den Gottesdienst gehen zu lassen, sagt Elaine Adam.

Sie beschreibt sich selbst als „privilegierte Christin”. Die 30-Jährige ist Generalsekretärin der Organisation FACES in Lahore, die auch zahlreiche österreichische Unterstützer hat. Heuer war Elaine das erste Mal in der Adventszeit zu Gast in Österreich - aus beruflichen Gründen. „Weniger versteckt” sei Weihnachten hier, sagt sie im Gespräch begeistert und das Wetter sei so viel „festlicher”. In ihrer Heimatstadt Lahore hat es auch im Dezember noch um die 15 bis 20 Grad. In Pakistan würde die Adventszeit eher im privaten Rahmen zelebriert. Die Ausnahme: größere christlich geprägte Nachbarschaften in Punjab. Religiöse Rituale, so entsteht der Eindruck, spielen jedoch eine größere Rolle. Während sich für viele hierzulande der Großteil des Advents am Glühweinstand abspielt, erzählt Elaine, dass sie selbstverständlich jeden Adventssonntag mit der Familie in ihrer Gemeinde, der St. Marys Church in Lahore, begehe. Gebete beobachtet von den wachsamen Augen der schwer bewaffneten Sicherheitskräfte, die die Messen vor Attentätern schützen.

Elaine Alam

Wegen der Diskriminierung, die Christen in Pakistan droht, versuchen viele ihre Religion zu verheimlichen. Ein schwieriges Unterfangen. Ein christlicher Name verrate die Herkunft schnell: Jennifer sei zum Beispiel ein klassischer christlicher Vorname. „Christliche Namen sind oft britisch angehaucht oder haben eine religiöse Bedeutung. Unter britischer Kolonialherrschaft war es eine große Ehre für viele Familien, wenn Missionare ihren Kindern Namen gaben.”

> In diesen Ländern droht Christen religiöse Verfolgung <

Das ist auch bei Peter Jacob der Fall. Der 58-Jährige ist Generalsekretär des Center for Social Justice und hat viele Jahre für die katholische Kirche Pakistans als Rechtsbeistand für religiöse Minderheiten gearbeitet. Sein Name lässt erahnen, dass auch seine Familie Bezüge zur Kolonialmacht hatte. „Mein Urgroßvater ist 1890 zum Christentum konvertiert. Seit ungefähr dieser Zeit ist meine Familie sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits christlich.” Diese Familienhistorie ist keineswegs einzigartig: Ein Großteil der heutigen Christen haben Vorfahren, deren Konversion auf die Briten zurückzuführen ist. „Es gibt aber viele Beweise, die zeigen, dass es das Christentum hier schon vor den Briten gab”, erklärt Peter Jacob. „Es gibt Überlieferungen, denen nach der Apostel Thomas schon im ersten Jahrhundert nach Christi durch Pakistan und Indien gereist ist und dort eine kleine Anhängerschaft gewinnen konnte”.

Peter Jacob

Als ausgebildeter Jurist und Politikwissenschaftler arbeitete Peter 26 Jahre lang für den ‘Justice and Peace Comissioner’ der Katholischen Kirche und verteidigte unzählige Christen, Hindus und Sikhs vor Gericht. Seinen Beistand suchten oftmals der Blasphemie bezichtigte Christen, denn Pakistans fragwürdige Gesetze zum Schutze vor Gotteslästerung und Prophetenbeleidigung werden vielfach missbraucht. Menschen, die nicht muslimischen Glaubens sind, sind besonders oft betroffen. “Es gibt einige berühmte Fälle, wie den von Asia Bibi, der vor dem höchsten Gericht verhandelt werden musste, bevor es zu einer Freilassung kam”, sagt Peter. So offen für Missbrauch macht das Gesetz eine rechtliche Tücke: Zeugen können blasphemische Aussagen vor Gericht nicht wiederholen, ohne selbst der Blasphemie angeklagt zu werden. Eine Einladung fast, für falsche Anschuldigungen und Denunziationen.

> Zum ganzen Interview mit Peter Jacob <

„Religiöse Extremisten sind oft in Positionen, in denen sie Richter beeinflussen können. Richter werden belästigt, bedrängt, bestochen oder gar getötet. Auch wir als Verteidiger setzen uns einem besonderen Risiko aus,” erklärt der Jurist am Telefon ruhig. Während wir sprechen hastet Peter durch die Straßen Lahores. Die Weihnachtszeit ist für ihn besonders hektisch. 75 Menschen, berichtet er, wurden nach Anschuldigungen der Gotteslästerung bereits Opfer von Lynchmobs, die das Gesetz in die eigenen Hände nahmen. Die Ironie: Das Gesetz, das missbraucht wird, um Christen zu diskriminieren, stammt noch aus Zeiten der britischen Kolonialherrschaft und sollte das Christentum beschützen.

Trotz Marginalisierung setzt sich die Gruppe vehement zur Wehr: Sie engagieren sich politisch und auch von der Angst vor Terror am Weihnachtsabend lassen sich die Gläubigen nicht von der Kirche fernhalten. Das trotz der blutigen Historie von Anschlägen im ganzen Land. Immer wieder werden auch christliche Kirchen zum Anschlagsziel. Jetzt bewachen bewaffnete Polizisten die Eingänge der Gotteshäuser an diesen Tagen, berichtet Peter Jacob.

In unserer Gemeinde gibt es ausgewählte Freiwillige, die bei den Sicherheitskontrollen helfen. Sie sind bekannte Gesichter für die Gläubigen - Das wirkt beruhigend. Wir wollen die Gemeindemitglieder ja nicht abschrecken, und die schwer bewaffneten muslimischen Polizisten vor der Kirche sehen immer sehr beängstigend aus. Alle werden beim Rein - und Rausgehen von unseren Freiwilligen kontrolliert. Die Polizei steht nur draußen.

Prozessionen unter freiem Himmel könne man schon lange nicht mehr abhalten, zuletzt sei 2004 ein Versuch gemacht worden, aber große Menschenmassen im Freien seien einfach zu schwer zu sichern, berichtet Peter. „Da verzichten wir natürlich lieber auf unsere traditionellen Prozessionen, als Menschenleben zu riskieren. Im Gespräch klingt durch wie schwer es Peter, einem tief gläubigen Mann, fällt den Ausdruck seiner Religion einzuschränken.

In ihren Häusern sind sie freier. Der Heilige Abend wird ähnlich begange, wie bei uns: Neben dem Gang zur Messe haben sie einen Weihnachtsbaum zuhause, berichtet Elaine, die noch bei ihren Eltern lebt, und natürlich gebe es Geschenke. „Früher lagen die Geschenke immer unter dem Weihnachtsbaum, wenn wir aus der Kirche kamen. Mittlerweile sind meine Schwester und ich aber dahinter gekommen, dass es unsere Eltern waren, die die Geschenke platziert haben”, erzählt Elaine lachend. Auch traditionelles Essen spiele eine große Rolle: Süßspeisen, wie Suji Halwar (eine Griesspeise mit Mandeln), oder getrocknete Früchte und Kuchen wären typisch in dieser Zeit. Eine von Peters liebsten Traditionen sind die Gesangswettbewerbe: Chöre oder einzelne Sänger treten gegeneinander an und interpretieren Kirchenlieder. Oft begleitet von den Klängen der Tabla, einer traditionellen pakistanischen Trommel. „Neuerdings gibt es natürlich auch öfter Begleitmusik vom Handy oder Computer”, fügt Peter etwas wehmütig an.

Peter ist erst vor wenigen Tagen von einer Reise nach Islamabad zurück gekehrt. Begeistert beschreibt er, dass viele Hotels Weihnachtsbäume aufgestellt hätten.

Natürlich auch für ausländische Gäste, aber es ist auch ein Zeichen der Solidarität mit uns. Solche kleinen Gesten bedeuten uns viel.