Die britische Monarchin wird auch diesen Termin in der Sturmphase mit Brexit, Unsicherheit und Polarisierung im Land ohne jeden Zweifel mit der ihr eigenen Souveränität meistern: Heute wird Theresa May im Buckingham-Palast erscheinen (der wie auch die Regierung eine Baustelle ist), um bei Queen Elizabeth II. offiziell ihren Rücktritt einzureichen. Nur eine Stunde später, gegen 16 Uhr britischer Zeit, wird Mays Nachfolger Boris Johnson bei der inzwischen 93-jährigen Monarchin vorstellig werden.

Prozedere ist recht klar

Das vorgesehene Prozedere ist im Unterschied zu den Wirren der vergangenen Monate und zum langwierigen Aussieb-Verfahren innerhalb der konservativen Partei relativ klar und simpel: Die Königin muss den neuen Chef der Tories dazu einladen beziehungsweise damit beauftragen, eine Regierung zu bilden. Dann – und erst dann – darf Johnson jenen Moment, auf den er bereits seit Monaten brennt, nutzen: Er wird seine erste Rede als neuer Premierminister halten und in Downing Street 10 als neuer Hausherr einziehen.

Generell gilt: Der Anführer der stärksten Partei im Parlament wird auch Regierungschef. Eine formelle Wahl auf Basis einer "Kanzermehrheit" im vor allem die Regierung kontrollierenden Parlament gibt es nicht. Freie Bahn für Johnson und seine Pläne bedeutet dies freilich nicht: Das Parlament kann ihm das Vertrauen entziehen - oder auch der Regierung als Ganzes. Im Wesentlichen geht es darum, dass "der Neue" ausreichend demokratischlegitimiertist. Gerade bei dem Exzentriker dürften erhebliche Zweifel über seine Befähigung nicht ausbleiben.

Es wird damitgerechnet, dass "Bojo" einige Regierungsposten neu bestückt – was durchaus für gröbere Kontroversen sorgen könnte. So könnte der frühere Brexit-Minister Dominic Raab das Justizministerium übernehmen. Dieser hatte erst jüngst im Radio zu Protokoll gegeben, die Nachteile eines ungeregelten Brexits seien aufgeblasen worden. Man stehe an einer "historischen Kreuzung", doch die Vorteile eines Austritts würden jedenfalls überwiegen: JenerAustritt am 31. Oktober, also Halloween, auf den Johnson vehement pocht und über den er unmittelbar nach der Wahl sagte, er wolle "das Brexit-Chaos beenden" und das seit Längerem zutiefst gespaltene Land einen.

Kontinuität gibt dem britischen Volk gerade jetzt und einmal mehr seine Monarchin – nicht die mit sich selbst und ihrer Position in Europa ringende Innenpolitik: Elizabeth II., seit dem 6. Februar 1952 im Amt, begrüßt mit "Bojo" ihren mittlerweile 14. Premier. Zählt man die zwei Amtszeiten von Harald Wilson (1964–1970 und 1974–1976) separat, ist das Enfant terrible mit starkem Zug zum Brexit-Notausgang sogar schon der 15. Prime Minister. Um die zeitlichen Dimensionen zu erahnen: Die Königin erlebte bis zu dessen Rücktritt am 5. April 1955 auch noch Sir Winston Churchill drei Jahre in seinem Amt.

Balmoral muss warten

Privat betrachtet dürfte der Queen die aktuelle Entwicklung reichlich ungelegen kommen: Die Regentin wollte eigentlich jüngst zum Schloss Balmoral in Schottland aufbrechen, um dort ihre alljährliche Sommerfrische zu genießen. Damit sie die 800 Kilometer-Reise nicht gleich mehrfach hinter sich bringen muss, blieb sie in London und verschob ihren Urlaub ("Royal Ruin", titelte die britische Presse doch etwas zu dramatisch). Ein wieder zu vereinigendes Königreich geht jedenfalls vor.

Direkt in Johnsons nun aufziehende Ära einzugreifen, ist für die Queen offiziell keine Option. Hier ist sie an das verfassungsgemäße Prinzip strikter Neutralität gebunden. Wie die Erfahrungen der vorigen Jahre und Jahrzehnte zeigten, ist mit so manchem indirekten "Hinweis" von königlicher Seite aber durchaus zu rechnen.