Ingrid Levavasseur war das Aushängeschild der französischen Gelbwesten-Bewegung. Die 32-jährige Krankenschwester aus einem kleinen Dorf in der Normandie wollte mit einer Partei in die EU-Wahl ziehen, hat aber nach massiven Angriffen aufgegeben. Levavasseur weilte auf Einladung der Chefin der Liste Jetzt, Maria Stern, die ein europaweites Alleinerzieherinnenprojekt entwickeln will, in Österreich

Fühlen Sie sich noch als Anhängerin der Gelbwesten?

Levavasseur: Im Herzen ja. Ich gehe nicht mehr auf die Straße, weil ich von Leuten bedroht wurde, die gemeint habe, ich würde die Bewegung verraten, wenn ich ein politisches Projekt starte. Sie haben eine tiefe Abneigung gegen die politischen Eilten.

Haben die Gelbwesten nicht ihre Sympathien verspielt?  

Levavasseur: Ich bin ganz Ihrer Meinung. Gewalt hat hier nichts zu suchen. Man muss aber die Leute verstehen. Zu Beginn der Proteste, als alles friedlich ablief, habe auch ich Tränengas abbekommen. Ich habe Leute behandelt, die durch Hartgummigeschossen verletzt wurden. Ich habe nicht verstanden, warum man uns so behandelt. Manche konnten nicht stillhalten und sind gewalttätig geworden. Leider hat sich das so entwickelt.

Warum haben Sie die Bewegung gestartet?

Levavasseur: Ich bin Alleinerzieherin, habe zwei Kinder, rauche nicht, trinke nicht und will ganz einfach in Würde leben. Ich musste immer gegen Monatsende alles zusammenkratzen. Die Erhöhung der Treibstoffpreise hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Eliten des Landes haben keine Ahnung vom Alltag der einfachen Leuten.

Macron hat Änderungen angekündigt. Sind Sie zufrieden?

Levavasseur: Seine Vorschläge decken sich nicht mit unseren Gelbwesten. Die Löhne wurden nicht erhöht, es gibt keine echte Reformen, um die untersten Einkommen zu entlasten. Unsere Lage hat sich nicht verbessert.

Warum ist er Ihnen nicht entgegengekommen? Aus budgetären Gründen?

Levavasseur: Er hat an einer grundsätzlichen Reform des System kein Interesse. Wir wollen, dass die Löhne angehoben werden, dass die Grundnahrungsmittel verbilligt werden. Die Preise steigen schneller als die Löhne.

Vielleicht sind Macron und seiner Regierung budgetär die Hände gebunden?

Levavasseur: Macron regiert unser Land Frankreich wie ein Banker.

Sind die Gelbwesten gescheitert?

Levavasseur: Nein. Das Bewusstsein hat sich geändert. Viele Ärzte, Unternehmer sagen mir, sie hatten keine Ahnung gehabt, wie es den Menschen wirklich geht. Wir sind nicht gescheitert.

Was halten Sie von den Rechtspopulisten, die auf dem Vormarsch? Der Nährboden ist doch sehr ähnlich?

Levavasseur: Nein. Ich lehne sie radikal ab.

Die Beweggründe sind doch sehr ähnlich?

Levavasseur: Der Unterschied ist, dass deren Anhänger nur noch verzweifelt sind. Sie haben die Nase weil, weil eine Regierung von der anderen abgelöst wird, ohne dass sich was ändert. Wenn sich in Frankreich nichts ändert, stehen die Rechtspopulisten vor dem Durchmarsch.