Kremlchef Wladimir Putin trifft Kim Jong-un, den nordkoreanischen „Rocket Man“, wie Donald Trump ihn getauft hat. Die Bilder des Gipfeltreffens in der russischen Fernostmetropole Wladiwostok gingen am Donnerstag um den Globus. Über konkrete Ergebnisse dagegen wurde wenig bekannt. Intensiv seien die bilateralen Gespräche gewesen, erklärten die beiden Staatenlenker im Stil zweier Fußballtrainer, die ein kampfbetontes 0:0 gesehen haben.

Tatsächlich war die Gipfelbilanz die Aufregung eher nicht wert. Weder bei der nuklearen Abrüstung noch in Wirtschaftsfragen oder mit Blick auf das internationale Sanktionsregime gegen Nordkorea gab es nach den Gesprächen erkennbare Fortschritte.

Allerdings war ein bilateraler Durchbruch auch gar nicht das Ziel des Treffens. Putin und Kim wissen selbstverständlich, dass sich die Korea-Frage nur international lösen lässt, unter Einbeziehung des Südens, vor allem aber unter Federführung der USA und Chinas.

Die Bilder waren die Botschaft

In Wirklichkeit hatten die beiden starken Männer aus strukturell eher schwachen Staaten in Wladiwostok vor allem ein gemeinsames Ziel: Sie wollten auf der Weltbühne Präsenz zeigen. Die Bilder waren die Botschaft, und sie sollten besagen: Seht her, wir sind handlungsfähig. Wir brauchen euch Amerikaner, Chinesen und Südkoreaner zwar. Aber ihr braucht uns ebenso.

Für Kim ist der bereits häufig erprobte Ansatz, irgendeine Form von Macht zu demonstrieren, existenziell. Er hat in seiner aktuellen Position nach wie vor nicht viel zu verlieren. Also führt er immer noch am liebsten seine nuklearen Folterinstrumente vor, stets glaubwürdig versichernd, dass er bereit sei, sie auch einzusetzen. Und wenn man die US-Führung in Washington nicht nur mit Raketen ärgern kann, sondern auch mit einer neuen Russland-Politik, dann tut Kim dies natürlich umso lieber.

Was aber treibt einen erfahrenen Politiker wie Putin dazu, ausgerechnet Kim zu hofieren? Wobei das Wort „hofieren“ durchaus keine Übertreibung darstellt, denn es war vor allem der Kremlchef, der, ganz gegen seine Gewohnheit, wieder und wieder auf ein Treffen gedrängt hat. Keine Frage: Auch der russische Präsident will mit der Zusammenkunft zuallererst die Amerikaner ärgern. Die USA sind in Russland nach dem Ende des Kalten Krieges schnell wieder zum Lieblingsfeind Nummer eins aufgestiegen. Sich mit den USA messen, so lautet die Kremldevise des 21. Jahrhunderts, bedeute Weltmacht sein. Eine solche Außenpolitik hat zudem den angenehmen Nebeneffekt, Wladimir Putins Zustimmungswerte im Innern hochzuhalten.

Allerdings gehörte die Nordkorea-Frage, ähnlich wie die Afghanistan-Strategie, lange Zeit zu jenen Politikbereichen, die außerhalb des wiederbelebten Ost-West-Konflikts lagen. Moskau und Washington kooperierten dort, oft auch unter dem Radar der Öffentlichkeit, weil die Bedrohung durch atomare Aufrüstung und Talibanterror für beide Seiten Priorität hatte. Das galt sogar zu den Hochzeiten der Ukraine-Krise und des Syrien-Krieges. Verabschiedet sich Putin nun von diesem informellen Konsens?

Russlands Rolle als eurasische Großmacht

Davon ist kaum auszugehen. Die Nichtergebnisse des Treffens in Wladiwostok belegen vielmehr, dass die Führung in Moskau am Sanktionsregime gegen Nordkorea festhält. Kremlchef Putin ließ ungewohnt bescheiden wissen, man wolle den Amerikanern und den Koreanern doch nur helfen, zueinanderzufinden. Dann stieß er mit Kim an und flog weiter nach Peking, um an einer Konferenz über Chinas Pläne für eine „Neue Seidenstraße“ teilzunehmen. Genau dort aber, in Peking, dürfte der entscheidende Grund für Putins intensivierte Korea-Politik zu suchen sein.

Um das zu verstehen, reicht der Hinweis auf Chinas rasant wachsenden Einfluss in der Welt und seine ökonomische Stärke nicht aus. Vielmehr geht es um Russlands eigene Rolle als eurasische Großmacht. Das ist ein geopolitischer, aber auch historisch-kultureller Faktor, der aus europäischer Perspektive oft zu gering geschätzt wird. Der Stadtname Wladiwostok bedeutet: „Beherrsche den Osten!“ In dieser Region politisch ein entscheidendes Wort mitreden zu können, gehört zur russischen Staatsräson, seit die Kosaken unter Iwan dem Schrecklichen nach Sibirien vordrangen.

Putin kann schlicht nicht zulassen, dass China dort zur Hegemonialmacht aufsteigt. Also hofiert er Kim.