Die Liste der Themen, die Israels Premier Benjamin Netanjahu bei seinem ersten Besuch im Weißen Haus Donald Trumps am 15. Februar besprechen muss, ist lang: der Atomvertrag mit dem Iran, Siedlungsbau, Beziehungen zu Europa und der arabischen Welt. Doch erstmals könnte auch ein Problem auftauchen, das von Staatsoberhäuptern beider Staaten noch nie thematisiert wurde, obschon es Israels Existenz mehr bedroht als jede iranische Bombe: der immer tiefer werdende Riss zum US-Judentum, der bis ins Oval Office reicht. Israels religiöses Establishment wird immer fundamentalistischer und verprellt so die Glaubensbrüder in den USA, nicht zuletzt Trumps engsten Berater im Oval Office: seinen orthodoxen jüdischen Schwiegersohn Jared Kushner. Dessen Frau, die Konvertitin Ivanka Trump, ist manchen Rabbinern nämlich nicht koscher genug.

Tiefe Vertrauenskrise

Das befremdet die US-Gemeinde, die für den Judenstaat von höchster strategischer Bedeutung ist. Seit Staatsgründung verlässt Israel sich auf ihren politischen Einfluss. Antisemiten beklagen oft die vermeintliche Macht dieser „jüdischen Lobby“. Die Klage wurde selbsterfüllende Prophezeiung und half, die pro-israelische AIPAC neben nach der Waffenlobby NRA zu einer der einflussreichsten politischen Organisationen Amerikas zu machen. Dabei wird ihr Einfluss überschätzt. Vergangenes Jahr misslang es AIPAC, den Atomdeal mit dem Iran auf Weisung Netanjahus zu verhindern. Dieser Gesichtsverlust schadete AIPAC. Zum Dank für die Mühe verprellen Israels staatliche Rabbiner jetzt auch noch die jüdische Diaspora so sehr, dass die Israel „in naher Zukunft den Rücken kehren wird“, meint Dov Zakheim. Die Worte haben Gewicht: Zakheim ist Vorsitzender der „Jewish Religious Equality Coalition“ (JREC) – ein Zusammenschluss jüdischer Organisationen verschiedenster Ausrichtungen in den USA, Kanada und Großbritannien, die zusammen über eine Million Mitglieder vertreten. Die Vertrauenskrise „bedroht Israels nationale Sicherheit“, so Zakheim.

Unlängst hatte der sephardische Oberrabbiner Israels Jitzchak Josef versucht die Wogen zu glätten. In einer außergewöhnlichen Ansprache vor anderen Rabbinern erklärte er, Ivanka Trump sei zwar „keine klassische Ultra-Orthodoxe“, doch sie halte den Sabbat ein: „Sie beantwortet samstags nicht ihr Telefon und schreibt auch nichts“, versicherte Josef. Kurz nach dem Trumps Wahlsieg wollte er den Ärger des neuen Präsidenten so besänftigen. Die letzten acht Jahre Dauerkrise mit dem Weißen Haus haben Jerusalem genügt. Hier will man fortan harmonische Beziehungen zum wichtigsten Bündnisgenossen.

Die Macht der Rabbiner

Doch statt den Streit beizulegen, legte Josef nur den Finger in eine klaffende Wunde. „Die zwei größten jüdischen Gemeinden der Welt – Israel und das US-Judentum – entfernen sich voneinander“, sagt Zakheim. Der orthodoxe Rabbiner Shaul Farber, der in Jerusalem das „Jewish Information Center“ ITIM in Jerusalem leitet, erklärt warum: „Tausende bitten uns jedes Jahr um Hilfe beim Umgang mit dem religiösen Establishment“, sagt er der „WELT“. Für Juden in Israel ist ein Familienleben ohne Rabbiner unmöglich. Da Staat und Religion nicht getrennt sind, kann man ohne deren Zustimmung weder heiraten, noch sich scheiden oder begraben lassen. Die strengen Regeln der Männer in den schwarzen Kaftanen schränkten zuerst Einwanderer aus den ehemaligen GUS-Staaten ein. Die wurden in den neunziger Jahren dank eines Gesetzes eingebürgert, laut dem ein jüdischer Großvater genügt um immigrieren zu dürfen. Doch für die Rabbiner ist nur Jude wer eine jüdische Mutter hat oder zum Judentum übertrat. Rund 300.000 Einwanderer und ihre Nachkommen sind deswegen zwar Israelis, gelten aber nicht offiziell als Juden und können nicht heiraten oder auf jüdischen Friedhöfen bestattet werden – selbst wenn sie im Krieg fallen.

Nur 33 Rabbiner dürfen die jährlich rund 1800 Übertritte lizensieren. Das führt zu Streit. Manchmal steht Gier dahinter: Anfang Februar ging ein ehemaliger Oberrabiner ins Gefängnis weil er Bestechungsgelder im Wert von zig tausenden Euro für die Genehmigung von Übertritten erpresste. Doch zumeist gehe es um Ideologie oder Politik: „Wer den Konvertierungsprozess kontrolliert, hat die Deutungshoheit darüber, wer Jude ist“, erklärt Farber. Die Ultra-Orthodoxen wollen ihre Form des Glaubens „vor anderen Strömungen schützen.“ So entbrannte ein Weltkrieg zwischen Rabbinern. Darunter leiden vor allem Konvertiten. Religiöse Staatsbeamte annullieren deren Übertritt, wenn er vor Rabbinern anderer Parteien stattfand: „Im Jahr 2010 haben sogar Abteilungen der staatlichen Konversionsbehörde Übertritte anderer Abteilungen derselben Behörde nicht anerkannt“, sagt Farber.

Israels religiöse Hardliner

Für US-Juden, von denen nur 15 Prozent orthodox sind, ein Riesenproblem: „Israels Rabbinat will zum Glaubensführer werden, die Diaspora unterordnen“, sagt Farber. Einst betraf das nur Reformgemeinden, doch inzwischen werden auch liberale orthodoxe Strömungen Opfer von Israels Hardlinern. Wie Haskel Lookstein, laut Newsweek der „einflussreichste Rabbiner der USA“. Kein israelischer Premier oder Staatspräsident lässt einen Besuch in dessen Kehilat Yeshurun Synagoge aus, wenn er sich in New York aufhält. Wohl deshalb begann Ivanka Trumps Übertritt in Looksteins Synagoge. Doch in Israel ist der Star-Rabbiner manchen nicht streng genug: „Hier heißt es: Wenn seine Konvertitin Ivanka solche kurzen Röcke trägt, samstags mit dem Auto zur Kirche fährt und im Weißen Haus Fotos schießt, kann er kein guter Rabbiner sein“, so Farber.

Vergangenes Jahr annullierte ein Rabbinergericht den Übertritt einer anderen Konvertitin Looksteins. Das bedrohte auch Ivankas Status. Sie ist kein Einzelfall: Laut Farber wurden hunderte Konversionen im Ausland vom Rabbinat annulliert. Das will allein diktieren, welcher der schätzungsweise 10.000 Rabbinern weltweit koscher ist. Es gebe sogar Pläne, „ein internationales Judenregister anzulegen um festzulegen, wer dazugehört und wer nicht. Ein Affront!“, echauffiert sich Farber und schätzt: „Das ist Wasser auf die Mühlen von Antisemiten, und würde 90 Prozent der jüdischen Welt ausschließen.“

Die Rede des Oberrabbiners tröstet Zakheim deshalb keineswegs: „Wie scheinheilig! Zuerst erkannte das Rabbinat ihre Konversion nicht an, und die Regierung in Jerusalem schwieg dazu. Und 24 Stunden nach Trumps Wahlsieg ist sie auf einmal koscher? Seit wann diktieren Wahlergebnisse unseren Glauben?“ Zakheim beteuert er werde „Israel immer unterstützen. Aber bei meinen Enkel ist es anders. Sie sind liberal, identifizieren sich eher mit den Schwächeren, also den Palästinensern.“ Dass Israels Rabbinat nun 85 Prozent der Diaspora zu „Juden zweiter Klasse“ erkläre, vertiefe diesen Bruch: „Immer öfter sagen mir junge Menschen: Wir sind stolz, Juden zu sein, aber schämen uns für Israel.“ Wenn der Trend so weiter gehe, „werden eines Tages nur noch evangelikale Christen zum Judenstaat stehen.“