Als Joanna Chen an einem nebelverhangenen Morgen am Tarkumia-Checkpoint ankommt, wird sie bereits erwartet. Ein Mann und eine Frau stehen auf der anderen Seite des großen Parkplatzes, die einjährige Tochter zwischen sich. Das Mädchen ist klein, viel kleiner als es Kinder in diesem Alter normalerweise sind.

Chen, eine in Israel lebende Autorin, ist den Dreien nie zuvor begegnet. Trotzdem werden sie die nächsten Stunden miteinander verbringen. Das Ziel der Reise ist die Sheeba-Klinik in der Nähe von Tel Aviv. Dort soll das kleine Mädchen eine Krebsbehandlung bekommen, im von Israel besetzten Westjordanland, wo die palästinensische Familie lebt, gibt es die medizinischen Möglichkeiten dafür nicht.

Der Vater und die Mutter haben zwei Rucksäcke und mehrere große Einkaufstaschen gepackt, sie rechnen mit einem längeren Aufenthalt. Es ist nicht das erste Mal, dass sie für die Behandlung ihrer Tochter nach Israel kommen. Die Ärzte sind aber dennoch nur bedingt optimistisch. „Der Vater war trotzdem davon überzeugt, dass es seine Tochter schaffen wird“, erinnert sich Chen an die Fahrt in ihrem Auto, während der das kleine Mädchen schnell eingeschlafen war. Und auch die Worte des Mannes beim Aussteigen sind ihr bis heute im Gedächtnis geblieben. „Alles, was wir geben, bekommen wir zurück. Wir brauchen nur Geduld“, hatte er ihr zum Abschied gesagt.

1500 Fahrten pro Jahr

Chen, die auch ein Buch über die Schwierigkeit des Brückenschlagens im Nahost-Konflikt geschrieben hat, ist eine von mehreren Hundert israelischen Freiwilligen, die schwerkranke Kinder mit ihren Privatautos von den palästinensischen Gebieten nach Israel bringen, damit sie dort medizinisch behandelt werden können. 1500 Fahrten pro Jahr organisiert die israelische Hilfsorganisation „Road to Recovery“ auf diese Weise, bis die Kinder tatsächlich im Auto sitzen, ist es aber oft ein langwieriger und hürdenreicher Prozess. Die palästinensische Autonomiebehörde, die die Behandlungskosten übernimmt, muss zustimmen, und auch auf israelischer Seite müssen zahlreiche Dinge organisiert und Genehmigungen erteilt werden.

Die Autorin Joanna Chen ist eine der freiwilligen Fahrerinnen
Die Autorin Joanna Chen ist eine der freiwilligen Fahrerinnen © chen

Für Yael Noy, die Leiterin von „Road to Recovery“, geht es bei den Transporten aber nicht nur um unmittelbare Hilfe für schwerkranke Kinder. Die meisten Palästinenser kennen Israelis nur als Soldaten an den Checkpoints, auf der anderen Seite haben Noy zufolge viele ihrer Landsleute überhaupt keinen Kontakt zu Palästinensern. „Auf den Fahrten begegnet man sich auf der selben Ebene, und obwohl wir uns manchmal aufgrund der Sprachschwierigkeiten nicht verständigen können, schmilzt die Angst dahin“, erzählt die „Road to Recovery“-Direktorin. „Wir versuchen die Menschlichkeit zu bewahren.“

1500 Transporte werden von „Road to Recovery“ pro Jahr organisiert.
1500 Transporte werden von „Road to Recovery“ pro Jahr organisiert. © Road to recovery

„Auf allen Seiten wächst der Hass“

Einfach ist das derzeit allerdings nicht. Seit dem Massaker des 7. Oktober, bei dem Hamas-Terroristen 1200 Israelis bestialisch ermordet haben, hat sich das Land stark verändert. Von offiziellen Stellen in Israel bekommt „Road to Recovery“ kein Geld mehr, immer wieder werden die spendenfinanzierte Hilfsorganisation und ihre freiwilligen Fahrer auch angefeindet. „Wir versuchen, unsere Nachbarn als Menschen zu betrachten und mitfühlend zu bleiben. Aber auf allen Seiten wächst der Hass“, sagt Noy. „Israel erlebt eine sehr schwierige Zeit.“

Auch persönlich fühlt sich Noy zerrissen. Einige weiter entfernte Mitglieder ihrer Familie sind strikt gegen das, was sie tut und werfen Noy vor, mit ihrer Arbeit der Hamas und anderen Terrororganisationen zu helfen. Mittlerweile sei es fast unmöglich geworden, über die Fahrten mit den kranken Kindern zu sprechen, sagt die 54-Jährige.

Noy, die vor kurzem in Wien war, weil „Road to Recovery“ mit dem Intercultural Achievement Award des österreichischen Außenministeriums ausgezeichnet wurde, sieht aber dennoch keinen anderen Weg, als weiterzumachen. „Wir machen Wunder möglich“, sagt sie.