Bei dem Vormarsch der ukrainischen Armee sind nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj von Dienstag in den vergangenen Tagen Dutzende Ortschaften aus russischer Besatzung befreit worden. Laut der Nachrichtenagentur RIA wird in der Region Cherson ein Gegenangriff vorbereitet. Russische Truppen würden sich neu aufstellen, "um ihre Kräfte zu sammeln und einen Vergeltungsschlag auszuführen", zitierte RIA den von Russland eingesetzten Vertreter Kirill Stremusow am Mittwoch.

Es gebe gute Nachrichten, hatte Selenskyj in einer am Dienstagabend in Kiew verbreiteten Videobotschaft gesagt. "Die ukrainische Armee dringt ziemlich schnell und kraftvoll vor bei der gegenwärtigen Verteidigungsoperation im Süden unseres Landes." Es seien Ortschaften in den Gebieten Cherson, Charkiw, Luhansk und Donezk wieder unter ukrainische Kontrolle gebracht worden. Insbesondere im Gebiet Cherson im Süden seien Ortschaften befreit worden.

Ukrainische Gebietsgewinne

Die ukrainischen Streitkräfte sprachen am Abend von insgesamt acht Siedlungen. "Unsere Soldaten stoppen nicht. Und es nur eine Frage der Zeit, bis wir die Okkupanten von unserem Land vertrieben haben", so Selenskyj. Die Ukraine meldet nach der völkerrechtswidrigen Annexion mehrerer Gebiete durch Russland immer wieder Erfolge bei ihrer Gegenoffensive.

"In einigen Bereichen der Frontlinie war es möglich, das von uns besetzte Gebiet um zehn bis 20 Kilometer zu erweitern", teilte das südliche Operationskommando der ukrainischen Streitkräfte (UAF) am Mittwoch mit. Unterdessen hätten russische Streitkräfte bei ihrem Rückzug ihre Munitionsreserven zerstört und versucht, durch die Zerstörung von Brücken und Übergängen den Vormarsch der ukrainischen Truppen zu stoppen.

In Cherson hätten abziehende russische Streitkräfte Minen in Infrastruktureinrichtungen und in Häusern platziert, hieß es zudem. In den vergangenen 24 Stunden verlor Russland nach Angaben des UAF 31 Soldaten sowie mehr als 40 Ausrüstungsgegenstände, darunter acht Panzer, 26 gepanzerte Fahrzeuge und eine großkalibrige Haubitze.

Russlands Versorgung durch Offensive behindert

Der Vormarsch der zunehmend westlich ausgerüsteten ukrainischen Truppen bereitet den russischen Einheiten gleich an mehreren Frontabschnitten Probleme. Russland hatte zuletzt Truppen zurückgezogen, um eine Einkesselung zu verhindern. Auch die Versorgung der russischen Truppen wird laut dem britischen Geheimdienst durch die fortschreitende Gegenoffensive behindert.

So seien ukrainische Einheiten in der nordöstlichen Region Charkiw bis zu 20 Kilometer hinter den Fluss Oskil in die russische Verteidigungszone vorgedrungen, hieß es. Damit näherten sich die Truppen einem Versorgungsknotenpunkt in der Stadt Swatowe. Die Ukraine könne mit ihren Waffensystemen nun mutmaßlich eine wichtige Straße in der Region angreifen und damit die Möglichkeiten der Russen, ihre Truppen im Osten mit Nachschub zu versorgen, weiter einschränken, hieß es.

Zwei Drittel der Reservisten bereits einberufen

Die Geheimdienste gehen davon aus, dass der ukrainische Vormarsch auf die Grenzen des Gebiets Luhansk für die russische Führung besorgniserregend sein dürfte, nachdem diese die Region in der vergangenen Woche annektiert hat. Kreml-Chef Wladimir Putin hatte überdies zur Verstärkung der russischen Streitkräfte eine Teilmobilmachung angeordnet. Von 300.000 Reservisten, die eingezogen werden sollen, seien inzwischen zwei Drittel einberufen, hatte Verteidigungsminister Sergej Schoigu zuvor mitgeteilt. Viele russische Männer sind allerdings aus dem Land geflohen, um nicht eingezogen zu werden. Russische Anwälte erklärten, sie arbeiteten mit Hochdruck daran, Männer zu beraten, die einer Einberufung entgehen wollen.

Russland war am 24. Februar in die Ukraine einmarschiert und hat inzwischen vier Gebiete in der Süd- und Ostukraine annektiert. Präsident Putin hatte am Freitag mit den von Moskau eingesetzten Besatzern die international nicht anerkannten Verträge über den Beitritt unterzeichnet. Nach Russlands Staatsduma ratifizierte am Dienstag der Föderationsrat Moskaus die völkerrechtswidrige Einverleibung. Am Mittwoch berichtete die russische Nachrichtenagentur TASS, Putin habe das "Gesetz zur Integration der Regionen in russisches Staatsgebiet" unterzeichnet und es sei somit in Kraft getreten. Der völkerrechtswidrige Schritt wird von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt.

US-Präsident Joe Biden sagte Selenskyj am Dienstag in einem Telefonat weitere Unterstützung zu. Demnach werden die USA der Ukraine 625 Millionen Dollar an neuen Hilfen zur Verfügung stellen, einschließlich Trägerraketen des High Mobility Artillery Rocket Systems (HIMARS). Er betonte zudem die Bereitschaft der US-Regierung, jedes Land, das die Annexion unterstütze, mit "hohen Kosten" zu belegen.