Die Altbauwohnung von Hugo Portisch und seiner Frau Traudi in der Nähe des Wiener Rochusmarkt war bis oben vollbepackt mit Büchern. Auch in der Küche und im Vorraum lagen sie gestapelt. Es war stimmig, dass in unmittelbarer Nähe des Rochusmarkts auch das Wittgenstein-Haus steht. Das Haus jenes österreichischen Philosophen, der in seinem „Tractatus“ sinngemäß postulierte, dass alles, was gesagt werden kann, klar gesagt werden kann.

Hugo Portisch konnte. Er war ein großer Verdichter der Wirklichkeit. Fraglos konnte er dabei weit ausholen und vom Hundertsten ins Tausendste kommen, aber er verlief sich nie. Was er sagte, war plastisch, immer klar und präzise. Durch seine Art, komplizierte politische und wirtschaftliche Zusammenhänge auch für den Laien verständlich zu erklären, wurde er zu einem der bedeutendsten Journalisten und Analysten in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg.

Jetzt ist der glühende Europäer im 95. Lebensjahr verstummt. Laut seinem langjährigen Journalistenkollegen Heinz Nußbaumer ist Hugo Portisch am Gründonnerstag im Krankenhaus „nach kurzer Krankheit sanft eingeschlafen“.

Der Wiener Hugo Portisch war der legendäre Chefkommentator des ORF, der mit „Österreich I“ und „Österreich II“ Zeitgeschichte-Monumente schuf. Noch als Kurier-Chefredakteur hat er mit dem Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Fritz Csoklich und anderen das Rundfunkvolksbegehren für die Unabhängigkeit des ORF initiiert.

Es war das erste Volksbegehren in Österreich und wurde 1964 abgehalten. Das Ziel war, den ORF durch ein Gesetz aus der Tagespolitik und den jeweils herrschenden politischen Verhältnissen herauszuhalten und ihn damit zu einem unabhängigen Medium zu machen. Die Zeitungs-Chefs hatten mit ihrer Initiative eine neue Ära im ORF eingeläutet.

Hugo Portisch hat in seinem Leben viel gesehen, und nicht nur Schönes. Er kam 1927 in Pressburg auf die Welt, als man von dort noch mit der Straßenbahn nach Wien fuhr. Später ließ er kaum einen Brennpunkt aus, um sich selbst ein Bild von der Welt zu machen.

Dem Duft der Druckerschwärze war er früh erlegen, denn schon sein Vater war Chefredakteur der liberalen, 1939 eingestellten „Pressburger Zeitung“ gewesen. Portisch war ein Weltensammler und immer dort zur Stelle, wo etwas los war. Immer neugierig auf das Unbekannte.

Die Angst vieler Menschen vor dem Fremden konnte er nicht verstehen, wohl aber erklären: „Ich war mit einer Reihe wirklich guter Psychiater befreundet, darunter Viktor Frankl, der sagte, bei den Menschen sei es wie bei einer Gruppe von Pavianen: Da ist meine Gruppe, dort ist die andere, und die wird immer als feindselig wahrgenommen. Wenn die beiden Gruppen zusammentreffen, gehen sie aufeinander los“, sagte er uns einmal in einem Interview.

Hugo Portisch in seiner Wiener Wohnung im Interview mit Manuela Tschida-Swoboda

Portisch war natürlich auch ein gewissenhafter Beobachter der Ära von Bruno Kreisky, dessen große Leistung er darin sah, auch mit den sogenannten Schmuddelkindern der Weltpolitik Gespräche geführt zu haben. Denn was habe etwa ein George W. Bush mit der Aufzählung der Schurkenstaaten erreicht? „Er hat einen Schurkenstaat nach dem anderen angegriffen, siehe Irak, und ist darin stecken geblieben. Er hat den Krieg zwar gewonnen, aber nicht das Land“.

ÖVP und SPÖ wollten Hugo Portisch einmal als gemeinsamen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl aufstellen. „Ich hatte aber keine Lust auf die Zwangsjacke des Protokolls. Ich bin mit Heinz Fischer sehr gut, und ich muss sagen: Er hatte eine wirkliche Freude an jedem Stück Zwangsjacke. Aber das muss man mögen: sich zu freuen, wenn der ausländische Gast kommt, den man schön empfängt. Und dann muss man ein fades Mittagessen mit ihm verbringen und die Frau ein fades Mittagessen mit dessen Frau.“

Waren ein gutes Team: Traudi und Hugo Portisch "Die Olive und wir" hieß das Buch, das sie gemeinsam im Ecowin-Verlag herausbrachten
Waren ein gutes Team: Traudi und Hugo Portisch "Die Olive und wir" hieß das Buch, das sie gemeinsam im Ecowin-Verlag herausbrachten © Ecowin Verlag

Das Leben hat es oft gut gemeint mit Hugo Portisch. Aber es schlug auch zu. So musste er den Tod seines Sohnes Edgar hinnehmen, der 2012 an den Folgen einer Tropenkrankheit starb. Wie seine geliebte Frau Traudi, die 2018 starb, hatte Hugo Portisch gehofft, als Erster zu sterben, denn er war der Ansicht: „Der Tod ist nur einen Lacher wert.“