Die Teilnehmer des EU-Ministerrats für allgemeine Angelegenheiten in Luxemburg haben sich heute auf ein EU-weites Corona-Ampelsystem geeinigt – und Österreich bleibt, wie schon vergangene Woche bei den Vorabstimmungen auf Botschafterebene, bei einer Stimmenthaltung. Warum, kann Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP), die in Luxemburg dabei ist, erklären.

Sie habe als eine der ersten darauf gedrängt, dass sieben Monate nach Ausbruch der Pandemie endlich Lösungen, um das Durcheinander um Reisewarnungen und unterschiedliche Test- und Quarantänemodalitäten zu vermeiden, gefunden werden, aber das Ergebnis reicht nicht aus: „Was hier am Tisch liegt, ist von der Realität bereits überholt worden. Es sind Schwellenwerte vorgesehen, die nicht mehr treffsicher sind.“ Im Endeffekt komme so keine differenzierte Landkarte heraus, sondern nicht nur große Teile Österreichs, sondern fast ganz Europa werde in Rot getaucht.

"Wenn alle Regionen rot sind, ist keine differenzierte Einschätzung mehr möglich. Außerdem benachteiligt das System Staaten, die gut und viel testen, wo das Contact Tracing also funktioniert", führte sie aus. Aus österreichischer Sicht sei es auch notwendig, bei der Dauer der Quarantäne eine Einigung zu erzielen, so die Europaminister. Einem Freitesten - im Sinne von Ersetzen der Quarantäne durch einen negativen Corona-Test - sollte demnach der Vorzug gegeben werden.

Überall steigende Zahlen

Die zuletzt so gut wie überall steigenden Zahlen bestätigen das. Die Europäische Gesundheitsagentur ECDC übermittelte letzte Woche beim routinemäßigen Update eine Europagrafik, in der viele Regionen statt wie davor in Rot plötzlich in Dunkelrot abgebildet waren. Die neue Ampelregelung basiert im Wesentlichen auf Vorschlägen der EU-Kommission vom 4. September, die wiederum die Datenauswertung durch das ECDC als Grundlage nimmt. Vorgesehen sind demnach die Farben Rot, Orange, Grün sowie Grau (für Regionen ohne valide Daten). Berücksichtigt werden dabei die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner der letzten 14 Tage kumulativ, die Rate der positiven Tests sowie die Testrate im jeweiligen Land.

Grün heißt, dass die durchschnittliche Anzahl an Neuinfektionen in einer Region in den vergangenen 14 Tagen unter 25 pro 100.000 Einwohnern und die Rate der positiven Tests unter vier Prozent liegt; in diesem Fall soll es keinerlei Reisebeschränkungen gebe. Auf Orange schaltet die Ampel, wenn die Neuinfektionsrate bei weniger als 50 Fällen liegt, eine Region aber vier oder mehr Prozent an positiven Tests aufweist, oder die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern zwischen 25 und 150 liegt bei einer gleichzeitig weniger als vierprozentigen Quote an positiven Tests. Rot schließlich leuchtet die Ampel, wenn die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner 50 übersteigt und mehr als vier Prozent der durchgeführten Tests positiv sind, oder wenn die Neuinfektionsrate bei mehr als 150 Fällen liegt.

Zeitlicher Vorlauf und Ausnahmen

Maßnahmen, die ein Land für Reisende verhängt, sollen mindestens 48 Stunden davor von Regierung zu Regierung, mindestens 24 Stunden zuvor an die Bürger bekanntgegeben werden. Im Vorschlag vorgesehen sind Ausnahmen bei Einschränkung der Reisefreiheit, die etwa für Mitarbeiter des Gesundheitswesens gelten, für Grenzpendler oder Studierende, die pendeln müssen, für Lkw-Fahrer – und für Journalisten.

Für Europaministerin Edtstadler gibt es aber noch mehrere offene Probleme: „Die Länder, die viel testen oder ein gutes Contact-Tracing haben, sollen nicht bestraft werden. Ich will Parameter, anhand derer man Veränderungen auch in Nuancen wahrnehmen kann, das ist hier nicht der Fall.“ Man habe darüber hinaus keine Einigung darüber finden können, wie lange nun eine Quarantäne dauern sollte. In der Tat gibt es hier bei den Mitgliedsländern derzeit Schwankungen zwischen fünf und 14 Tagen. Edtstadler weiter: „In Österreich würden wir klar einem Frei-Testen den Vorzug gegenüber einer Quarantäne geben.“ Das würde aus dem Vorschlag nicht klar hervorgehen: „Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber wir sind noch lange nicht fertig.“ Es gehe um Kriterien, auf die man sich verlassen könne, um Handel, Reisen, Tourismus zu ermöglichen.

Anna Cavazzini, Grüne EU-Abgeordnete und binnenmarktpolitische Sprecherin ihrer Fraktion, kritisiert die deutsche Ratspräsidentschaft: „Sie hat sich von der trügerischen Ruhe der Infektionszahlen im Sommer leiten und entscheidende Zeit für ein gemeinsames Vorgehen tatenlos verstreichen lassen. Nun dauert das Chaos weiter an.“ Der Vorstoß von Kommission und ECDC sei „bis zur Unkenntlichkeit verwässert“ worden: „Die Verständigung über eine Corona-Warnampel kommt zu spät und schafft mehr Verwirrung als Klarheit.“

Keine Diskriminierung

Die EU-Kommission legte in ihrem Vorschlag ausdrücklich Wert darauf, dass Beschränkungen im Schengenraum nicht „diskriminierend“ sein dürften; dass also die Personenfreizügigkeit nicht aus politischen Gründen (oder einfach als Retourkutsche für Maßnahmen anderer) eingeschränkt wird. Doch selbst EU-Diplomaten in Brüssel wissen, dass das gesamte Konstrukt nur eine Art Anreiz sein kann, sich gegenseitig nicht das Leben schwer zu machen – mehr nicht.

Denn auch weiterhin ist die Entscheidung über Maßnahmen Ländersache und das wird auch so bleiben. Die Hoffnung: Wenn einmal eine von allen akzeptierte Datenkarte vorhanden ist und alle auf dem gleichen Level arbeiten, können einzelne Länder auch nicht mehr so leicht mit ihren Reisebeschränkungen ausscheren.

Die EU-Ampel wird heute also einmal beschlossen werden. Den nötigen Spin bekam das Thema beim EU-Sondergipfel vor zwei Wochen, wo es die Staats- und Regierungschefs nachträglich auf die Tagesordnung gebracht hatten. Man kann davon ausgehen, dass es auch beim regulären Gipfel diese Woche zur Sprache kommt.