Eine Sache an Sebastian Kurz ist bemerkenswert: Der Mann ist seit fast einem Jahrzehnt Teil des politischen Betriebes, erst als Wiener Gemeinderat, später als Staatssekretär für Integration, dann als Außenminister und Bundeskanzler. Jede Österreicherin kennt sein Gesicht, man hat seine – für die Statur etwas zu hohe - Stimme im Ohr.

Nur: Es gibt in Österreich wohl nicht mehr als zwei Dutzend Menschen, die sagen können, wer Sebastian Kurz wirklich ist. Er beherrscht die Social Media, unbestritten. Dort zeigt er sich beim Wandern oder mit der erwachsen gewordenen Jugendliebe. Doch dort, wo der Mensch Kurz beginnt, zieht der Politiker eine Grenze. Worüber lacht Sebastian Kurz herzhaft? Hat er Selbstironie? Was ärgert ihn? Flucht so ein Mensch lauthals, wenn er mit dem Fuß in der Nacht gegen den Türstock knallt? Man erfährt es nicht, weil es in seiner Variante des Storytelling keinen Platz hat. Als er für den Wahl-Podcast der Kleinen Zeitung befragt wurde, ließ er das Interview unterbrechen, um zu fragen, in welche Richtung sich nun das Gespräch entwickeln solle. Der letzte, der so viel Distanz zu sich selbst hatte, war Werner Faymann.

Doch das was Kurz den Menschen von sich zeigt, genügt diesen ohnehin. Andere Politiker haben durch ihre Inszenierungen das Feld aufbereitet, Josef Pröll ging gerne Schwammerl suchen, Erwin Pröll schwang sich auf das Rennrad. Kurz suggeriert dass er nun die Kombination aus diesen ÖVP-Tugenden Leutseligkeit und Dynamik ist und punktet damit. Ob er es wirklich ist? Er lässt es die Menschen glauben. Das reicht. Und das ist auch die Stärke, die Sebastian Kurz in diesem Wahlkamp ausgespielt hat. Er erfüllt die Politiker-Projektion der Österreicher. Er hat durch das Hinausdrängen Reinhold Mitterlehners und den Alleingang nach dem Ibiza-Video schon zwei Regierungen gesprengt, trotzdem gilt er als stabile Kraft und Macher. Sein untrügliches Gespür für den Zeitgeist – vor 2015 waren es die Integrationsbotschafter, dann die Schließung der Balkan-Route – steuert seine Politik, doch nie so, dass man ihn plumpen Opportunismus vorwerfen muss. Er vermittelt, dass es gerade die richtige Tat ist – ob für das Land oder für das Festigen seiner Position. Manchmal deckt es sich sogar.

Dass er nun wieder Bundeskanzler wird, ist unausweichlich. Er hat seiner Partei so viele Sitze im Nationalrat geholt, wie SPÖ und FPÖ zusammen. Entsprechend bleiben ihm Debatten wie sie Michael Spindelegger und die zig-Parteichefs zuvor mit Bünden und Landeshauptleuten führen mussten, erspart. Dass er Schwächen seiner Partei überdeckt – plötzlich ist die ÖVP sogar in Kärnten stärkste Kraft – wen bitte interessiert das? Man ist vor der SPÖ und der FPÖ!

Wie wird die Kurz-Geschichte weitergehen? Es wird sich in den kommenden Wochen entscheiden. Denn nun ist Politik in der Weberschen Ausprägung – das Bohren harter Bretter - gefragt. Der Durchmarsch in das Kanzleramt war angeblich seit seiner Zeit im Wiener Gemeinderat geplant, spätestens seit den Tagen im Außenministerium. Als Ibiza einen Strich durch dieses Drehbuch machte, geriet der Masterplan ins Stocken. Nun neuerlich. Denn nicht die Neos, die durch die gleichen Rhetorik-Kurse gingen, sondern die Grünen stehen als potenzieller Koalitionspartner parat. Wenigstens kommt Kurz nun wieder der Zeitgeist entgegen. Denn eine Koalition der Klimaschützer – das ließe sich wenigstens wieder ínszenieren.