Neulich waren mein Freund und ich auf einer Hochzeit. Als wir am Sonntagmorgen verkatert auf der Terrasse des Landhotels saßen, in dem wir unsere Freunde gefeiert hatten, wurden wir stutzig: Vor uns, auf der Lichtung des Waldstücks, bereiteten sie schon die nächste Hochzeit vor. Eine Sonntagshochzeit, wie es sie im Superhochzeitsjahr 2022 wohl häufiger gibt: Einige Paare mussten wegen Corona immer wieder verschieben. Jetzt finden alle Feste auf einmal statt. Aber nicht nur der Wochentag irritierte uns. Wir tranken unseren Kaffee aus und gingen rüber, auf die Wiese, zur Inspektion – und siehe: Da standen unsere Stühle und unser Traubogen! Wir fanden uns auf unserer eigenen Hochzeit wieder. Was sich wie eine kafkaeske Anverwandlung anfühlte, hatte profanere Gründe: Das andere Paar hatte seine Requisiten wohl bei derselben Agentur bestellt wie wir. Eine Agentur, die für individualistische und originelle Beratung steht, bei der am Ende aber vermutlich alle Feste identisch aussehen – gleich den hochindividualistischen, liebevoll gestalteten Veganer-Cafés in der Großstadt, die keiner unterscheiden kann. Natürlich hat jedes Paar so einen Erkenntnismoment verdient. Denn wer, der heiratet, denkt nicht: Wir zwei sind etwas Besonderes! Wir machen es anders als die vielen Unglücklichen um uns herum! Und trotzdem werden in 30 Jahren junge Paare mit geschürzten Lippen nach links und rechts schauen, um sich von den vielen gescheiterten Ehen meiner Generation abzugrenzen. Und wenn der Klimawandel noch Sommerhochzeiten im Freien erlaubt, werden sie sich trotzig unter einen Traubogen ins Grüne stellen.