Zugegeben, wenn sich diese Zeilen nun der jüngsten europäischen Errungenschaft – dem „Digital Services Act“ – widmen, besteht allein aufgrund der Betitelung schon die Gefahr, dass Ihnen bei der morgendliche Lektüre wieder die Augen zufallen. Doch halt! Was hier nach sperrigem Beamten-Englisch klingt, birgt Brisantes, fast schon Revolutionäres für unseren Umgang mit dem Internet und seine monopolistischen Großkonzerne.  

In einer 16-stündigen Marathonsitzung einigten sich die EU-Institutionen Freitagnacht auf ein neues Gesetz für digitale Dienste, das Internetriesen wie Facebook, Google und Amazon stärker an die Kandare nehmen und bei Vergehen mit Milliarden-Strafen sanktionieren soll. Nach Jahren des Zusehens, Zögerns und Zauderns wird den toxischen Auswüchsen der Webwelt erstmals konzertiert zu Leibe gerückt: auf Grundlage des DSA sollen die Algorithmen der marktbeherrschenden Firmen weitgehend einsehbar, personalisierte Werbemöglichkeiten eingeschränkt und Hasspostings vollumfänglich verboten werden.

„Ein historischer Schritt!“, befand die nie um Superlative verlegene Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und twitterte spätnachts noch aufgeregt, dass der Digital Services Act „ein starkes Signal für Menschen, Unternehmen und Länder auf der ganzen Welt“ sei.

Doch so ehrenwert wie hoch an der Zeit es auch ist, der geistigen und kommerziellen Manipulation durch die Fürsten des Silicon Valley Einhalt zu gebieten – die EU läuft hier wieder einmal Gefahr, die Erwartungen an ein Regelwerk viel zu hoch anzutragen. Denn der Teufel wird im Detail und in der entscheidenden Frage der Durchsetzbarkeit stecken.

So soll es beispielsweise nicht mehr erlaubt sein, die Daten Minderjähriger zu Werbezwecken auszuwerten. Wie die Unternehmen sicherstellen wollen, dass sie nur noch die Volljährigen tracken, werden sie aber noch beantworten müssen. In welchem Zeitraum und Umfang die Klärung erfolgt und wie diese Schutzmechanismen dauerhaft kontrolliert werden können, bleibt nach wie vor offen und lässt sich vielleicht erst gerichtlich abschließend klären.

Ein Knackpunkt im DSA dürfte auch der Umgang mit den geheimen Algorithmen der Firmen sein. Facebooks Geschäftsmodell beruht darauf, die Nutzerinnen und Nutzer in Blasen zu ziehen und sie dort fortwährend mit polarisierenden Themen zu konfrontieren. So haben sich Rechtsextreme, Corona-Leugner und Putin-Adoranten radikalisiert, so wurden gesellschaftliche Gräben weiter vertieft. In Artikel 31 ist nun geregelt, dass sowohl die EU-Kommission als auch Wissenschaftlerinnen „Zugang zu Daten“ großer Plattformen bekommen sollen. Dieser vage Vorsatz wird Facebook wohl kaum erschaudern und gleich die gesamte Codierung offenlegen lassen – vielmehr ist davon auszugehen, dass der Konzern unter Berufung auf sein „Geschäftsgeheimnis“ nur großzügiges Kratzen an der Oberfläche gestattet.   

Last, not least will das neue Gesetz dem Hass im Netz endlich den Kampf ansagen. Österreich ging hierbei voraus, bereits Ende 2020 präsentierte Justizministerin Zadić einen Strafenkatalog gegen Internet-Gewalt. Doch die Tech-Konzerne bleiben davon unbeeindruckt. Das Löschen von Hass-Postings auf deren Plattformen verläuft ebenso schleppend wie die Herausgabe von User-Daten oder deren strafrechtliche Verfolgung. Bezahlt haben bis dato nur kleinere Unternehmen, die großen Fische schwimmen weiter vergnügt durch den vergifteten Teich.   

Auch wenn mit der Einigung auf den DSA ein wichtiger Meilenstein gelungen ist, wird sich dessen Wirkkraft also erst in der Praxis weisen. Bis dahin sollte man mit Vorschusslorbeeren zurückhaltend sein. Denn die attackierten Internetriesen gelten noch immer als Großmeister in Sachen Superlative.