Graz im Fokus, obgleich in keinem guten Zusammenhang: Nach der tätlichen Attacke auf den Präsidenten der Jüdischen Gemeinde und vorangegangen Steinwürfen und Schmierereien an der Synagoge im StadtteilGries suchte die Polizei intensiv nach dem Täter. Der Mann wurde gestern gefasst: Er soll gestanden haben - die Taten sind noch auszuleuchten.

Klar ist aber: Dem Verdächtigen werden sieben Delikte zugeschrieben – unter anderem ein Angriff auf ein Vereinslokal für schwule und lesbische Menschen. Vieles deutet also darauf hin, dass neben antisemitischen Motiven auch Homophobie die Gedankenwelt des Verdächtigen in Beschlag genommen hat.

Das – vermeintlich – Gestrige flammte als aktueller Kriminalfall mitten in Österreich auf. Anlassbezogenes Entsetzen geht in einer Stadt um, die sich im Frühling 1940 "judenfrei" erklärte – und 1938 und 1941 Adolf Hitler Spalier stand. Zwischen dem Auftragen von Parolen und dem Ergreifen eines Holzprügels, um auf einen Menschen loszugehen, liegen dann doch noch zwei Grade der Verrohung.

Auf eine überschaubare Volksgruppe wird indes sehr viel Hass projiziert: Bei der Volkszählung 2001 – die letzte, bei der die Religion amtlich erfasst wurde – wurden 8140 Juden in Österreich gezählt.
Der Unterschied zu den 1930er- und 1940er-Jahren? Der Hass auf Juden dünstet heute aus verschiedenen Richtungen aus: Attacken kommen aus rechtsextremistischen oder aus "importierten" islamistischen Milieus, sie bedienen sich gleicher Mittel.

Am 9. Oktober des vergangenen Jahres etwa wollte ein junger Deutscher in Halle (Saale) in Sachsen-Anhaltin einer Synagoge ein Blutbad anrichten. Er scheiterte allein an der robusten Eingangstür. 2018 wurde eine 85-jährige Holocaust-Überlebende in ihrer Pariser Sozialwohnung von einem Islamisten erstochen und verbrannt.Elie Rosen, der nun in Graz Angegriffene, vermutet in seinem Fall "linksextremen Antisemitismus gegen Israel" – über dessen Vorgehen im Westjordanland zivilisierte Diskussionen erlaubt sein müssen. Darauf deuten auch jene propalästinensischen Parolen, die auf der Synagoge prangten.

Laut Umfrage der Grundrechteagentur der EU-Kommission von 2019 erlebten vier von zehn Juden in der Europäischen Union in den fünf Jahren zuvor ob ihres Glaubens Belästigungen, Anfeindungen und Angriffe. Welche Geisteshaltung den Verdächtigen in Graz auch vor sich hertrieb: Es sind eben nicht nur die ausgefransten, losen, verlorenen Enden der Gesellschaft, auf die fokussiert werden muss. Die EU-Kommission sprach bereits wörtlich von einer "Normalisierung von Antisemitismus" in Europa. Das Sickern dieser Ungeisteshaltung in die breitere Mitte, etwa durch Streuen diffuser Gerüchte gegen "die Juden", ist pure Säure.

Dazu wird aus bestimmten politischen Richtungen immer wieder mit Postings am Antisemitismus gestreift. Intoleranz – mit welcher Schlagrichtung auch immer – darf einer Gesellschaft niemals Baugrund sein. Nicht in Graz, nicht in Halle, nicht in Paris – nirgendwo.