Darf man nach einem Ereignis mit einer derartig destruktiven Wucht wie am Dienstag in Graz das Positive in die Auslage stellen? Ja, man muss. Gerade in Anbetracht der tiefen menschlichen Abgründe, die einen 21-jährigen Steirer zu seinem fatalen Entschluss fehlleiteten, brauchen wir eine aufrichtende Gegenerzählung.

Diese handelt von Einsatzkräften, die mit nüchterner Professionalität und dem Rückgriff auf vielfach Eingeübtes ein bis dahin nicht gekanntes Szenario nahezu perfekt bewältigten. Gewiss wird man in Nachbesprechungen Mankos finden und aufarbeiten, dem Außenstehenden blieben sie jedenfalls verborgen. Exakt 21 Minuten dauerte es vom ersten Notruf bei der Polizei bis zum Einschreiten der Notfallsanitäter. Damit blieb für viele der schwerverletzten Opfer das lebensrettende Zeitfenster geöffnet.

Wer sich mit Amoklagen beschäftigt und weiß, wie lange es oft dauern kann, bis die anfängliche Chaosphase allmählich in Phasen der Übersicht und der Kontrolle übergeht, wird diese 21 Minuten wertschätzend anerkennen. Sicher: Hätte der Täter für seinen teuflischen Plan eine Schule in der Peripherie ausgewählt, wäre die Intervention um einiges später erfolgt als in der Landeshauptstadt. Aber auch die Polizeibeamten vor Ort sind dafür ausgerüstet und ausgebildet, einem aktiven Schützen Paroli zu bieten, bis Verstärkung eintrifft.

Mit der raschen Evakuierung des Schulgebäudes, der Betreuung und Abschirmung der Schüler und Lehrkräfte in der nahen Konzerthalle und dem schnellen Bereitstellen einer Anlaufstelle für die Eltern folgten die Behörden ebenfalls einem durchdachten Konzept. Der Schmerz jener Angehörigen, die erst nach Stunden der Ungewissheit über das Schicksal ihrer Lieben in Kenntnis gesetzt wurden, lässt sich durch keine Strategie der Welt abmildern. Dass sich manche in der Sporthalle wie in einer Lotterie um das schwerste Los fühlten, ist nachvollziehbar.

Wohltuend in Anbetracht der dramatischen Ereignisse war die Reaktion der Politik. Das zeigte sich schon bei den ersten öffentlichen Auftritten der Volksvertreter nach der Tat. Nicht die Floskeln, die man schon irgendwo einmal gehört hat, berührten die Menschen. Stimmen und Gestik der politischen Verantwortungsträger von Stadt, Land und Bund offenbarten echte, ungekünstelte Betroffenheit. Es gab keine Schuldzuweisungen, niemand versuchte, die Situation zu seinen Gunsten zu nutzen. Die Hoffnung, dass die Parteien diesen respektvollen Umgang miteinander in eine „Zeit danach“ mitnehmen, ist nicht besonders ausgeprägt. Vielleicht wird ja die Verschiebung von drei Parteitagen als Nachdenkpause sinnvoll genützt.

Nicht zuletzt ist es die Zivilgesellschaft, die Ihriges zum Heilen der Wunden beiträgt. Zunächst braucht sie zur Verarbeitung des Geschehenen gemeinschaftliche Rituale wie ein Lichtermeer oder einen Trauermarsch. Sie kann aber auch selbst positive Signale setzen. Und sei es das Spenden von Blut.