Am 18. November 2020 strotzten Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler und Justizministerin Alma Zadić vor Zuversicht. In seltener Eintracht und Entschlossenheit traten die beiden vor die Kameras, um einen "Meilenstein" zu präsentieren: das Gesetz gegen Hass im Netz. Ohne großen Aufwand werde dieses ermöglichen, anonyme Hassposter innerhalb kurzer Zeit ausforschen und bestrafen zu lassen. Es sollte fortan genügen, mit einem Formblatt beim Bezirksgericht ein Mandatsverfahren anzustreben. Darüber hinaus müssten auch die Betreiber der Kommunikationsplattformen die rasche Löschung von Hetze, Verleumdung und Hass sicherstellen. "Wir wurden ernst genommen und die Plattformen haben mir in mehreren Gipfeln versichert, dass sie ihre Verantwortung in den sozialen Medien wahrnehmen wollen", verriet Edtstadler und schloss im Triumph: "Gemeinsam können wir den Echokammern des Hasses den Ton abdrehen!"

Bei diesem Satz war wohl der Wunsch Vater des Gedankens. Denn nun, nach mehreren Monaten im Feld und nicht zuletzt seit dem tragischen Fall Kellermayr, stellte sich das Gesetz als gut gemeint, aber weitgehend wirkungslos heraus. Lediglich 65 Personen machten bis zum heurigen Frühjahr von der Möglichkeit Gebrauch, anonyme Täter von Behörden ausforschen zu lassen. Zudem bleibt bis heute unklar, wie viele Verurteilungen seit der Reform verzeichnet wurden und ob inkriminierende Postings von den Plattformbetreibern auch lückenlos gelöscht wurden.

Die jüngsten Forderungen, das Gesetz dringend nachzuschärfen, sind berechtigt. Dass eine Ehrenbeleidigung im Ausland verfolgt werden kann, nicht aber die gefährliche Drohung, ist schlichtweg unverständlich. Die Staatsanwaltschaft Wels konnte die Ermittlungen im Fall Kellermayr so aufgrund von Unzuständigkeit einstellen; fast schon heuchlerisch wirkt es nun, dass sie – brutal mit dem Suizid konfrontiert – plötzlich einen Ansatzpunkt zur Wiederaufnahme fand.

Neben dem Schließen der legistischen Lücken darf auch ein Investitionspaket in die Strafverfolgungsbehörden nicht ausbleiben. Professionell geschulte Polizistinnen und Polizisten, die adäquat auf Cybermobbing-Anzeigen reagieren, Fachpersonal mit Spezialwissen über die Dynamiken und Desinformationstaktiken im Internet und vielleicht sogar die von Edtstadler ins Treffen geführte Sonderstaatsanwaltschaft werden für den Kampf gegen viralen Hass in Zukunft unumgänglich sein.

Die vielfach vernommene Vertröstung der Politik, die EU werde mit dem "Digital Services Act" bald umfassend Abhilfe schaffen und das Internet "zähmen", fällt hingegen wieder unter gefährliches Wunschdenken. Denn bisher waren alle Versuche, Twitter, Facebook & Co. zu regulieren, von bescheidenem Erfolg gekrönt. An Telegram, von dem die übelsten Tiraden gegen Lisa-Maria Kellermayr ausgingen, biss sich selbst Deutschland die Zähne aus. Der Messengerdienst, dessen Spuren zwischen den Britischen Jungferninseln und Dubai verschwimmen, schert sich bislang einen feuchten Kehricht um Ansprechpartner oder ladefähige Zustelladressen und lässt auch Mahnbescheide über 55 Millionen Euro gnadenlos ins Leere gehen.

Derartige Plattformen einzuschränken oder gar zu zensurieren, mag verlockend klingen, würde Radikale und Hater aber bloß in andere Ecken des Webs vertreiben. Vielmehr sollte die Politik ihr Augenmerk auf die rasche Verfolgung und Eindämmung krimineller Postings legen und vorrangig deren Ursachen bekämpfen. Denn Hass im Netz einfach beenden zu können, ist eine reine Illusion.