Rasch ist die Zeit vergangen, eilig hat man es dem Zeiger nachgetan und ist im Kreis gelaufen. Unaufhörlich war alles in Bewegung, die Tage beschleunigt und überdreht, als müsste man sich die Ruhe absparen, auf sie verzichten, damit man zu Weihnachten endlich genug davon übrig hätte. Kleine Rituale und große Traditionen haben sich zwischen das Perpetuum mobile der Termine in den Kalender geschlichen, inselgleich.

Jeden Sonntag saßen Familien abends um einen grünen Kranz und die brennenden Kerzen, Kinder zündelten mit Tannennadeln in den Flammen, Familienhamster krochen besinnlich über den Tisch dem Feuer entgegen, Erwachsene aßen mit Begeisterung eine Rumkugel zu viel. Lieder wurden unabhängig von der Personenanzahl mehrstimmig als -köpfig gesungen und Wünsche für die Weihnachtswochen ausgesprochen. Man dachte genau darüber nach, was man schätzt. Und während sich die einen Weltfrieden und leise Stunden wünschten, fragten die anderen nach einem ausschweifenden Schnupfen für den Geographielehrer und den Ausfall einer Mathematikschularbeit.

Der Adventskalender hat die Zeit mit Türen statt Zeigern getaktet, führte mit winzig kleinen Eingängen durch die Wochen und zählte den Geduldigen die Tage herunter. Man ließ sich verführen zu kindlicher Albernheit und fühlte sich wild, denn wie oft öffnet man heute schon Türen, von denen man nicht weiß, was einen dahinter erwartet. Verspeiste mit jeder neuen Zahl die Schokoladenstückchen erwartungsvoll bereits zum Frühstück, damit sie die Zeichnung freigaben und man hineinsteigen konnte in die papierenen Bilder.

Lernte das Staunen und die Vorfreude neu. Ließ den Kalender Tag für Tag Portal sein in melancholische Kinderwelten aus Tannenduft und Zimt, Universen bevölkert von Schaukelpferden und Schneemännern, altmodischen Teddybären und nagelneuen Spielzeugautos und allerlei Dingen, deren Entsprechung in der Wirklichkeit schon lange fehlt. Hinter jedem Türchen fand man Kleinigkeiten, gemacht nur für große Augen, und die alte Idee von Apfelbäckchen, Silberpapier und Geheimnissen entdeckt man schlussendlich hinter dem allerletzten.

Mit der ersten Kälte begann auch das Warten auf den Schnee. Die Flocken machten übermütig und luden zum Spielen ein. An jedem Morgen hoffte man auf ein weißes Land, das über Nacht vor den Fenstern entstanden und vom Himmel herabgefallen war, eines, dem noch nichts und niemand eine Spur eingetreten hat, auf ein Fleckchen erneuerter Erde. Seine weltvergessene und weltvergessende Architektur. Kindshohe Verwehungen, durch die man nicht gehen, aber schwimmen kann, quietschvergnügt einen Eiszapfen als Lutscher in der Hand. Auf Bäume, deren erhobene Äste das Weiß wie auf Armen tragen, und Fahrzeuge, die mit aufgetürmten Häubchen durch die Stadt rutschen. Schneeballschlachten und Iglubaupläne, Flöckchen und Weißröckchen, Schlittenfahrten und Dachlawinen en miniature. Schneite es tatsächlich, gab es kurz, ganz kurz, Begeisterung für den erwarteten Schnee, gefolgt vom langen Entsetzen über seine überraschenden Eigenschaften, die nass, schmutzig und spät machten. Wie immer kam erst der Wunsch, und mit ihm seine Verwünschung.

Laut war es in der leisen Zeit. Außen und innen drin. Die schlechten Nachrichten wurden schlechte Gewohnheiten. Es herrschte Sturm und Drang auf den Straßen. Der Lärm tobte. Wer nicht drängelte, kaufte noch nicht, und wer nicht kaufte, verstand zu wenig von Besinnlichkeit. Rüpelige Heerscharen auf der Suche nach dem einen Ding oder dem anderen übernahmen die Geschäfte, strömten durch die Gassen, taumelten in Geschenkpapier verwickelt durch die Straßenbahnen, als hätte man den Wahnsinn losgelassen. Wer hielt da Rückschau auf das zu Ende gehende Jahr. Wer denkt da nach über die Ereignisse und die Versäumnisse, wer hat Zeit für die Vorsätze für das neue und die Nachsätze zum alten Jahr. Wem gelingt das Stillsein und wem das Schöne.

Leicht konnte man einsam werden oder einsam bleiben in diesen kurzen Tagen. Die Wolken in der Dämmerung verwechselte man allzu leicht mit riesenhafter Zuckerwatte. Die Finsternis kam schon mit dem Nachmittag, brachte eine frühe Nacht, verwirrte die innere Uhr, dass man sich abends längst jenseits der Mitternacht wähnte. Die Verknappung des Lichts scheint Vorbereitung auf das Fest und macht gierig auf seinen Schein. Heute endlich wird das Dunkle gelegen kommen als Ritual, wird die erleuchteten Fenster und die erleuchteten Kinderaugen rahmen und besonders sichtbar machen, wird noch den scheusten Glanz und Schimmer aus den Ecken und den Menschen gleißen lassen. Am Himmel werden die Zimtsterne und im schummrigen Wohnzimmer die Sternspritzer sprühen. In jedem Haus wird ein Baum blühen und wären die Mauern unsichtbar in diesen Stunden, stünde man in einem einzigen geschmückten Wald. Unter Kerzenschein wird eine immerfremde Geschichte auf die stets selbe Art und Weise wie zu jedem Fest erzählt werden. Man wird heimgekehrt sein und zusammengefunden haben. Für dieses Nachhausekommen an zumindest einem Tag im Jahr und die schöne Bescherung, bei der man sich als Familie traditionell in die Arme oder in den Rücken fällt, ist man nie zu alt.

Überall auf der Welt zieht es die Menschen auf gewundenen Wegen die Erdkrümmung entlang zu jenen Orten, die, dem Herzen nach, unabdingbar eine gute Herberge für die eigene Existenz sind. Wer Glück hat, wird heute angekommen sein unter einem solchen Dach, wer nicht, wird vielleicht nur daran denken.

Valerie Fritsch
Valerie Fritsch © (c) ©Oliver Wolf