"Mit uns kratzen Sie besser ab." Diese Aufschrift auf einem im Souvenirshop des Bestattungsmuseums Wien erhältlichen Auto-Eisschaber mag den Nicht-Wiener eventuell etwas irritieren. Der Wiener selbst lebt seit Jahrhunderten sehr gut mit seinem ganz eigenen Verhältnis zum Sterben. Sein bizarrer Flirt mit dem Tod findet nicht nur oftmals im Wienerlied oder im wienerischen Idiom, wie dem bekannten Ausspruch "A schene Leich", seinen Platz, er spiegelt sich auch wunderbar augenscheinlich in der Friedhofskultur und im großen Erbe historischer Gräber und Grüfte wider.

Die Urheberschaft aller funeralen Verherrlichung liegt in der Dynastie der Habsburger, deren prunkvolle Begräbnisse bis zu jenem von Kaiserin Zita 1989 quasi Weltgeschichte schrieben. Glücklich schätzten sich über Jahrhunderte jene, die als Zaungäste eines Habsburger-Trauerzugs durch die Wiener Innenstadt ein gemietetes Fensterplatzerl ergattern konnten.

Ein kaiserliches Vergnügen

Kein Wunder: Niemand Geringerer als Kaiser Karl VI. lebte dieses Faible bereits vor. "Es wird ein so schönes Fest, dass ich am liebsten hinter meinem eigenen Sarg einhergehen möcht …" – soll er geschwärmt haben. Heut ruht er gemeinsam mit 149 Familienmitgliedern in der 1618 gegründeten Kapuzinergruft – nicht weit von seiner Tochter Kaiserin Maria Theresia. Sie selbst hat ihr bombastisches Mausoleum zu Lebzeiten gestalten lassen und mit den Worten "Hier wird einmal gut ruhen sein" abgenickt.

Der Doppelsarkophag von Maria Theresia und Franz Stephan in der Kapuzinergruft
Der Doppelsarkophag von Maria Theresia und Franz Stephan in der Kapuzinergruft © Imago

Während man in der Kapuzinergruft im wahrsten Sinne des Wortes haut- und knochennah in die große Geschichte der Habsburger eintauchen kann, tut sich auf dem einzig erhaltenen Biedermeierfriedhof in Wien – St. Marx – das Lebens- bzw. Totenreich der Wiener Bevölkerung von den Achtzigerjahren des 18. bis zu jenen des 19. Jahrhunderts auf. Für die Restaurierung und Instandhaltung der rund 5600 denkmalgeschützten Grabsteine wird das Bestmögliche getan. Die Natur, die sich in wild-romantischer Manier durch den Gottesacker fräst, ist dennoch manchmal schneller.

Entschädigt wird man aber reichlich: Mit dem Grabdenkmal des großen Wolfgang A. Mozart, der hier in einer der Schachtgräber ruht. Wo, weiß man nicht genau. Und mit unzähligen amüsanten historisch-schwülstigen Berufs- und Standesbezeichnungen wie "k.u.k Hof-Mundwäscherin" oder "Bürgerl. Lust- und Ziergärtners-Sohn" als Grabsteininschriften.

Der Sankt Marxer Friedhof steht unter Denkmalschutz
Der Sankt Marxer Friedhof steht unter Denkmalschutz © Spitzi-Foto/stock.adobe.com (Wolfgang Spitzbart)

Um die "Grande Dame" der Wiener 55 Friedhöfe, auf denen noch beigesetzt wird, zu besuchen, nimmt man am besten stilgerecht die Straßenbahnlinie 71, den sogenannten "Witwenexpress". Er hält vor den Toren des zweitgrößten Friedhofs Europas. "Der Wiener Zentralfriedhof wurde 1874 als erster interkonfessioneller Friedhof der Welt eröffnet. Eigentlich ist er der einzig wirklich multikulturelle und nicht pluralistische Platz in der Stadt. Hier gibt es ein absolut friedliches Miteinander", lässt der Kulturanthropologe und Funeralexperte Wittigo Keller während einer seiner außergewöhnlichen Friedhofstouren wissen.

Funeralexperte Wittigo Keller am Grab von Udo Jürgens
Funeralexperte Wittigo Keller am Grab von Udo Jürgens © RRK

Auf 2,5 km² liegen hier rund drei Millionen Menschen in 330.000 Gräbern. Rund 1000 davon sind Ehrengräber und "Ehrenhalber gewidmete Gräber": prunkvoll, bombastisch, einfach, kreativ bis skurril. "Der Grabstein von Udo Jürgens, entworfen von seinem Bruder, ist einem Konzertflügel mit darüber gebreitetem weißen Bademantel nachempfunden. Jener von Karikaturist und Katzenfreund Manfred Deix stellt eine Katz mit Krone dar", weist Keller gezielt auf kreative Highlights hin.

In seiner profunden Führung durch Teile des insgesamt 80 km langen Wegenetzes verrät er auch gerne neue Trends in der Bestattungs- und Gedenkkultur, wie zum Beispiel den QR-Code auf dem Grabstein. Und er erzählt Skurriles, etwa über das plötzliche Erscheinen einer tonnenschweren Bugs-Bunny-Skulptur über Nacht. Sie gibt bis heute Rätsel auf.

Der mysteriöse Bugs-Bunny-Grabstein
Der mysteriöse Bugs-Bunny-Grabstein © RRK

Leben und Tod in bester Nachbarschaft

"Wo man sich zu Lebzeiten gerne aufhält, lässt man sich auch gerne bestatten", lautet ein Credo der Verantwortlichen der Wiener Friedhöfe. Und so wird es am Zentralfriedhof mit durchdachten Konzepten, die stets mit der Würde der Toten, der Pflege des großen Kulturerbes und dem Respekt vor Natur und Umwelt im Einklang stehen, immer lebendiger. Auf Joggingrouten, Radstrecken – gekoppelt mit E-Bike-Verleih – im elektrobetriebenen "Hop on Hop off"-Bus, per Fiaker oder ganz klassisch bei einem Spaziergang lässt sich die Schönheit des immens weiten Gottesackers auf individuelle Weise vereinnahmen.

Wildtiere schätze die Stille am Zentralfriedhof
Wildtiere schätze die Stille am Zentralfriedhof © Patrik/stock.adobe.com (Patrik Pichler)

Nicht nur die Menschen schätzen heute den Zentralfriedhof als Erholungsgebiet. Seit eh und je ist er Lebensraum von Rehen, Feldhamstern, Eichhörnchen, Dachsen, Mardern, Turmfalken. Laut Keller fanden hier bis vor wenigen Jahren sogar noch Treibjagden statt. Im besonders ruhigen, aber wohl schönsten Teil, dem Alten Jüdischen Friedhof, dessen tausende Grabsteine die Hochblüte jüdischer Kultur in Wien widerspiegeln, ist die Chance, auf gar nicht so scheue Rehe zu stoßen, besonders groß. Dies ist dann ein Moment, den man ganz sicherlich festhalten möchte. Allerdings noch nicht ganz für die Ewigkeit.