Wir schreiben das Jahr 1972. Die Olympischen Sommerspiele in München werden von der Geiselnahme der israelischen Sportler überschattet. Heinrich Böll erhält den Literaturnobelpreis und die erste deutsche Ausgabe des Männermagazins „Playboy“ erscheint.

Deutsche Geschichte wird im Winter 1972/73 auch andernorts geschrieben - an einem immer warmen Fleck eines damals unbekannten Eilands: der Kanareninsel Fuerteventura, rund 90 Kilometer von Afrika entfernt. Dorthin reist der soeben wiedergewählte Bundeskanzler Willy Brandt, um sich nach den Wahlkampfstrapazen von einem Halsleiden zu kurieren. Er geht mit seinem Hund Bastian am Strand spazieren, fährt mit Fischern aufs Meer, reitet auf Eseln oder Kamelen durchs karge Hinterland und genießt das, was heute Tausende Touristen praktizieren - die Winterflucht. Er tauscht Stiefel gegen Sandalen.

Er brachte die Deutschen nach Fuerteventura

Willy Brandt brachte Fuerteventura die Deutschen, und direkt an der Promenade Senda del Mar des 20 Kilometer langen öffentlichen Strandabschnitts in Morro Jable im Süden der Insel sitzt Brandt als Skulptur, die seinen Hund im Nacken krault, in Poleposition für die Sonnenauf- und -untergänge. Er wacht sozusagen vor dem Robinson-Club „Jandia Playa“, dem „Torre“, wie der Turm seit Anfang der 1970er liebevoll genannt wird. Als erster Robinson-Club hat der Ort weiter deutsche Urlaubsgeschichte geschrieben.

Nun wurde das Haus, das seit damals eine Million (vorwiegend) deutsche Gäste beherbergte, abgerissen und großzügiger und zeitgemäßer wiederaufgebaut. Das neue „Adults only“-Hotel thront am Strand und versprüht ein bisschen Miami-Feeling. Vom Infinity-Pool aus, knapp 40 Meter über dem Meeresspiegel, auf der Dachterrasse mit Skybar und Restaurant glaubt man, dieser Platz gehöre einem ganz alleine. Hier oben herrschen perfekte Sundowner-Verhältnisse.

Gäbe es da nicht direkte Konkurrenz zum Sundowner am Strand. Zu sanften Gitarrenklängen swingt einen die Hotelband vor der sich langsam senkenden Sonne auf den Abend ein. Wohlverdient, denn die Yogaeinheit hat man schon hinter sich. Das Schwimmen im Meer auch, den Sonnenbrand auf der Nasenspitze ebenso, den stundenlangen Spaziergang auf Sand sowieso. Verpasst hat man die Surf-Schnupperstunde, den Saunabesuch, die Tenniseinheit, den Tauchgang oder den Versuch, auf dem Stand-up-Paddle zu bleiben - um nur einige der vielen Angebote zu nennen. Aber: Der Abend ist ja noch jung, die Tanzfläche auf dem Schachbrett wartet oder der Besuch im hauseigenen Theater.

Ein Kluburlaub im 21. Jahrhundert ist selbst für Skeptiker oder Individualreisende eine dezente, aber entspannende Angelegenheit: keine nervigen Animateure, kein zwanghaftes Mitmachen, keine Gute-Laune-Pflicht. Zwischen Spabereich und einem der vier Restaurants könnte man Tage, nein, Wochen verbringen - ohne die Sprache oder die Lieblingsspeisen von zu Hause zu vermissen.

Das Glück ist eine Windböe

Dann würde man nie wirklich auf Fuerteventura, dem wüstenähnlichen Eiland mit dem allgegenwärtigen Türkis, gewesen sein. Der Name steht für Sonne und Glück, aber auch für Wind. Wer die Insel erleben will, nähert sich ihr sanft schaukelnd auf einer Bootstour an - mit Glück unter Begleitung eines Delfin-Kommandos oder von Walen. Der Blick auf den „Torre“ bleibt auch vom Wasser aus beeindruckend. Ein bisschen fühlt man sich dann, fast allein auf offenem Meer, wie Willy Brandt anno 1972. Einsam und erholt auf Winterflucht.

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