Bei unserer fünfstündigen Wanderung durch das Wadi Qelt haben wir überall dort, wo es auch nur ein bisschen Wasser gegeben hat, die blühende Judäische Wüste erlebt. „Auferstehung“ ist spätestens nach einer solchen Wanderung nichts Abstraktes mehr. Die erste Bibel des Schöpfers nämlich ist die Schöpfung. An ihren „Dingen“ ist am allerdeutlichsten zu erleben, was „Auferstehn“ bedeutet.Das setzt voraus, mit „allen diesen Dingen“ in geschwisterlicher Verbindung zu stehen und um ihr inneres Gleichgewicht besorgt zu bleiben. Im Blick auf die Natur wie auf den Menschen bedeutet mir Auferstehung, miteinander füreinander Verantwortung zu tragen!

Ungefähr elf Kilometer von Jerusalem entfernt liegt Emmaus. Dorthin sind, wie der Evangelist Lukas berichtet, zwei enttäuschte Freunde unterwegs. Ihr Traum, an der Seite eines Superstars Karriere zu machen, ist ausgeträumt. Resigniert sprechen sie über all das, was sich in den letzten Tagen ereignet hat. Da spricht sie ein Fremder an und fragt, worüber sie so leidenschaftlich diskutieren. Sie bleiben stehen und fragen ihn, ob er von dem, was in Jerusalem Tagesgespräch ist, nichts vernommen habe. „Was denn?, fragt er zurück.

Und so erzählen sie ihm von Jesus aus Nazareth, einem Propheten, „mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk“, und dass diesen die Hohepriester und Führer zum Tod verurteilt hätten. Einigen Frauen seien Engel erschienen und hätten ihnen gesagt, dass er lebe. Ihn selbst allerdings hätten sie nicht gesehen. Da beginnt der Fremde ihnen darzulegen, wie sehr sie den Sinn der Schrift nicht verstanden hätten. „Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?“, fragt er sie. Und dann fängt er an, ihnen – ausgehend von Mose und allen Propheten – zu erklären, was in der gesamten Schrift über den Messias geschrieben steht. Während sie so miteinander reden, erreichen sie Emmaus, und der Fremde tut, als wolle er weitergehen. Die beiden Freunde aber drängen ihn, zu bleiben. Da geht er mit und bleibt bei ihnen.

Der Fremde nimmt das Brot, spricht ein Dankgebet und teilt es mit ihnen. Da gehen ihnen die Augen auf, sie erkennen im Fremden den Freund, im Weggefährten den Vertrauten. Aber im Moment des Erkennens entschwindet er ihnen. Sie sagen zueinander: „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“

Noch in derselben Stunde, so erzählt Lukas, brechen sie auf, kehren nach Jerusalem zurück und finden dort ihre Freunde versammelt. Was ihnen dort an unglaublichen Geschichten erzählt wird, ergänzen sie durch eigene Erfahrung. Und im Miteinanderreden wächst die Zuversicht, dass die Geschichte mit diesem Jesus aus Nazareth nicht nur nicht zu Ende ist, sondern im Grunde gerade eben erst begonnen hat.

Was die beiden unterwegs miteinander und aneinander erleben, ist das, was Martin Buber mit dem schönen Satz beschreibt: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“ In Alexandrien hat man die Christen zuallererst „Die Leute vom Weg“ genannt. Das wohl deshalb, weil das, was Menschen Halt gibt, nicht in der Stube der Gelehrsamkeit, sondern unterwegs im Gespräch mit anderen gefunden werden kann. Wer aufbricht und geht, weiß durch täglich neue Erfahrung, dass jeder Mensch jedem Menschen etwas zu sagen hat, was ja nicht bedeutet, dass jeder Mensch von jedem Menschen immer alles wissen will, wohl aber, dass Menschen Beziehungswesen sind und es ein Leben lang bleiben. Aus diesem Grundbedürfnis wachsen „Weggemeinschaften“, aus diesen wie von selbst „Erzählgemeinschaften“ und aus diesen „Mahlgemeinschaften“.

Ausgangspunkt dieser österlichen Erfahrung aber ist die Kunst, aufzuhören, voreinander Angst zu haben, sich daran zu erinnern, dass alle unsere Freundinnen und Freunde zunächst Fremde waren.

Ostern bedeutet, miteinander auf dem Weg zu sein und dabei um eine Sprache zu ringen, die über Prinzipien, Rezepte und Gebote hinaus nach Worten sucht, die unser Herz „entflammen“. Erst eine solche Sprache ermutigt, motiviert und heilt, erst so wird sie zur Grundmelodie einer Gesprächskultur in unseren auf Fremdes hin offenen Erzählgemeinschaften! Dazu braucht es eine Leidenschaft des Herzens, hinter den Worten das Ungesagte und vielleicht auch Unsagbare mitzuhören. Michael Ende schreibt diese Leidenschaft seiner kleinen Momo zu: Sie kann so zuhören, dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlen.

In der Kraft solcher Erfahrung verscheucht die Begegnung die Resignation und aus der Zwiesprache wächst Zuversicht. Zwiesprache meint aber nicht das eifrige „Aufeinander-Zureden“ (Martin Buber) denkbegabter Menschen, das man zutreffend „Diskussion“, also „Auseinanderschlagen“, nennt. Auch meint es nicht das schulterklopfende billige Einverständnis miteinander vertrauter Menschen, die einander wie alte Hasen augenzwinkernd zunicken. Es meint eher das, was André Heller in seiner Rede beim Gedenkakt zum 80. Jahrestag des Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland „Weltmuttersprache Mitgefühl“ genannt und gefordert hat.

Jahrzehntelang habe er gedacht, etwas Besseres und deshalb zum Hochmut berechtigt zu sein, sagte Heller. Eines Tages sei er in einem Waggon der Londoner U-Bahn gestanden, habe um sich unterschiedlichste Menschen wahrgenommen, die sich in unterschiedlichsten Sprachen miteinander unterhalten hätten. In einer Art von Blitzschlag habe er damals erkannt, dass jede und jeder von diesen Frauen und Männern, auch er selbst nicht Deutsch, Englisch, Russisch, Chinesisch, Spanisch, Arabisch oder Swahili als wirkliche Muttersprache spricht, sondern, dass unsere wirkliche Muttersprache das Mitgefühl sein müsste. Es ermöglicht uns, in jedem anderen uns selbst zu erkennen, mit ihm innigst und liebevoll verbunden zu sein und diese Erkenntnis in weiterer Folge in all unseren Gedanken und Taten zu berücksichtigen.