Ein „Bauernhof“ in der Judäischen Wüste zwischen Jericho und Jerusalem. Mit etwas Fantasie ein Gebäude mit einem Abendmahlsaal. Wer wie wir das Heilige Land bereist, erlebt Gastfreundschaft in unterschiedlichster Weise, und als Christ mag ihm der Gedanke kommen, dass das Christentum das Kreuz als Vermächtnis des Wandersmannes aus Nazareth zu sehr betont und dafür den gemeinsamen Tisch als Liebesdienst aneinander zu sehr in den Hintergrund gedrängt hat! Wie heißt es in einem Kirchenlied? „Wenn jeder gibt, was er hat, werden alle satt!“

Im Johannesevangelium wird berichtet, dass Jesus zu Mittag müde zum Jakobsbrunnen kommt und sich allein hinsetzt, um zu rasten. Da kommt eine Frau, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagt zu ihr: „Gib mir zu trinken!“ Die Frau antwortet ihm: „Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten? Die Juden verkehren nicht mit den Samaritern.“ Jesus antwortet ihr: „Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“ Sie sagt zu ihm: „Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden?“

"Herr, ich sehe, dass Du ein Prophet bist"

Der noch heute erhaltene Jakobsbrunnen ist 32 Meter tief. Mit „lebendigem Wasser“ ist „fließendes“ Wasser gemeint. Jesus antwortet: „Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.“ Da sagt die Frau zu ihm: „Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierherkommen muss, um Wasser zu schöpfen.“ Er sagt zu ihr: „Geh, ruf deinen Mann und komm wieder her!“ Die Frau antwortet: „Ich habe keinen Mann.“ Jesus antwortet: „Du hast richtig gesagt: Ich habe keinen Mann. Denn fünf Männer hast du gehabt und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt.“ Die Frau sagt zu ihm: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist.“

Die Szene ist sonderbar. Ein Brunnen ist im Orient ein Ort des Lebens und des Überlebens für Nomaden und ihre Herden, eine Art Paradies. Brunnen sind Orte der Begegnung. Aber das Ungewöhnliche an dieser Begegnung ist der Zeitpunkt. Niemand geht in glühender Mittagshitze Wasser holen, es sei denn, er will nicht gesehen werden. Darum nehmen die Exegeten an, dass es sich bei dieser Frau um eine Prostituierte handeln könnte.

"Jesus belehrt nicht, er konfrontiert"

Diese Frau also sucht Wasser und findet einen Menschen, der um sie weiß. Ein außerhalb der Bibel überliefertes Jesuswort sagt: „Begegnet dir ein Mensch, begegnet dir Gott.“ Immer dort, wo einem Menschen ein Mensch begegnet, der sich ihm als Mensch erweist, verändert sich die Welt. Wem es gegönnt ist, so vor seinem Leben zu stehen zu kommen, wird mit neuem Blick in die Zukunft schauen können. Die Samariterin fühlt sich durchschaut, aber nicht durchleuchtet, erkannt, aber nicht bloßgestellt. Dadurch kann sie mit neuen Augen ihren Blick auf ihr Innerstes, auf ihre unverwechselbare bisher gelaufene Lebensgeschichte richten. Jesus belehrt nicht, er konfrontiert.

Sie nennt ihn einen „Propheten“ und meint wohl einen „Engel“, wie auch wir jemanden nennen, der uns guttut, einen Boten Gottes, dessen vornehmliche Eigenschaft nicht in „hellseherischer Fähigkeit“ besteht, sondern in seiner Art, den Blick auf das im Innersten Versteckte zu lenken, damit es „entdeckt“ und „freigearbeitet“ werden kann. Der Brunnen wird so zum Ort der Begegnung und egal, was war und was geschehen wird: Die Begegnung wird zum Moment der Vergebung, zum Ort der Gnade.

Wo das spürbar ist, erntet jeder, obwohl er nicht gesät hat: Aus seinem Inneren beginnt „lebendiges Wasser“ zu fließen. Das in der christlichen Verkündigung so oft ausschließlich auf Jesus bezogene Wort bei Johannes „Wer Durst hat, komme zu mir und trinke. Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen“ kann guten Gewissens von jedem Menschen behauptet werden, dem es gelingt, in der Begegnung mit anderen Menschen Hebammendienste zu leisten, damit der andere ermutigt wird, der zu sein, der er ist, und zu werden, was er sich bisher nicht zugetraut hat.

Der Zusammenhang von Religion und Therapie

Die vielen Begegnungsgeschichten von Jesus tragen fast nur diese Handschrift. Lukas berichtet: „Und viele Leute suchten ihn festzuhalten; denn eine Kraft ging von ihm aus, und er heilte alle.“ Die „Lehre“ Jesu hat mit Belehrung nichts zu tun, sie lebt aus der Begegnung und der damit einhergehenden Veränderung im Inneren des anderen.

Was er dabei zu sagen hat, ist manchmal nicht angenehm, aber heilsam, „therapeutisch“, getragen von Achtsamkeit und Wertschätzung. „Er zog in ganz Galiläa umher, lehrte in den Synagogen … und heilte im Volk alle Krankheiten und Leiden.“ Und wenn später berichtet wird, dass Jesus die Zwölf aussendet „zu predigen und zu heilen“, ist es der Auftrag, mit dem Wort so umzugehen, dass es Wirkung zeigt, Hoffnung gibt und Linderung bewirkt. „Predigen“ heißt dann, so lange sich mit einem Menschen zu befassen, bis er spüren kann: Da geht es ja um mich!

Es ist dieser Zusammenhang von Religion und Therapie für Jesus so wesentlich, dass er im Markusevangelium sagt, die Jünger sollten in die Dörfer Galiläas gehen und die Dämonen austreiben, die Krankheiten heilen und davon reden, wie nah Gott den Menschen sei. Da ist es für Jesus ein und dasselbe, ein religiös motiviertes Vertrauen zu bilden und Angst zu nehmen, die, wird sie nicht beseitigt, ihren Niederschlag in körperlichen Leiden findet. Dabei geht es um die Ermutigung, endlich auszusprechen, was viel zu lange unausgesprochen darauf gewartet hat, an die Oberfläche zu kommen. Und damit ist eine Art „Schöpfungsakt“ vollzogen, ein „Befreiungsschlag“ gelungen.

Gewiss: „Gesagt“ ist noch nicht „getan“, aber ein erster Schritt ist gesetzt, den viele Patienten mit dem Gefühl beschreiben, „endlich auf- und durchatmen zu können“, „wie neu geboren“ zu sein. Der Boden, auf dem solches „Neugeborenwerden“ wachsen kann, besteht in der Grundhaltung der unverdienten, bedingungslosen Akzeptanz des anderen. Kein „du sollst“, kein „du musst“, auch kein „du wirst jetzt!“, sondern einfach nur von Angesicht zu Angesicht „du da“, der eine dem anderen in Augenhöhe gegenüber, als Auftakt der Begegnung und Ausgangspunkt kommender Hilfe und Heilung.