Die nicht mehr ganz Jungen unter uns dürften sich noch erinnern an das auch in Österreich in den 1980-Jahren sehr reale Schreckensgespenst "Waldsterben". Fossile, schwefelige Energiequellen, die verbrannt wurden, trieben die Luftschadstoffe massiv in die Höhe – und schädigten die heimischen Baumbestände.

An die Stelle des "sauren Regens" dürften Klimawandel und immer stärkere Beanspruchung durch den Menschen getreten sein, wie Forscher der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku) nun mit Berliner Kollegen für das Fachjournal "Nature Communications" ernüchternde Bilanz ziehen: Jährlich sterben 3000 Quadratkilometer Wald in Mitteleuropa (Österreich, Deutschland, Schweiz, Tschechien, Slowakei, Polen).

Diese Entwicklung bekam man in den Griff, in den letzten Jahren mehrten sich aber wieder die Berichte über sterbende Bäume. Für Rupert Seidl vom Institut für Waldbau der Boku (siehe Interview) gibt es in Sachen Baummortalität nichts schönzureden: "Durch die Analyse von lange zurückreichenden Satellitenbildern konnten wir zeigen, dass heute doppelt so viel Wald stirbt oder geerntet wird wie noch Mitte der Achtziger. Während am Höhepunkt der Waldsterbens-Debatte in etwa ein halbes Prozent der Waldfläche Mitteleuropas von Baummortalität betroffen war, ist es heute bereits ein Prozent pro Jahr."

Rupert Seidl ist Experte an der Boku Wien
Rupert Seidl ist Experte an der Boku Wien © Boku



Die Ursachen seien klar: "Hauptverursacher der aktuellen Entwicklung ist der menschlich verursachte Klimawandel. Eine Rolle spielt aber auch die steigende Bewirtschaftungsintensität der Wälder." Dass laut Studie zwar größere Waldflächen, insgesamt aber nicht bedeutend mehr Bäume betroffen sind, erklärt Seidl so: "Heute sterben eher ältere und größere Bäume als in der Vergangenheit – und diese hinterlassen im Kronendach des Waldes dann größere Lücken. Somit sind heute zwar größere Waldflächen von Mortalität betroffen, die Zahl der toten Bäume hat sich jedoch über die letzten Jahrzehnte kaum geändert." Ein nicht zu unterschätzendes Problem sind invasive Schädlinge, also eingeschleppte Arten: "Sie werden zunehmen zum Problem für Europas Wälder." Als Beispiel nennt Ruppe den aus Asien "importierten" und für das Eschentriebsterben verantwortlichen Pilz "Falsches Weißes Stängelbecherchen".

Österreich weist gemeinsam mit Tschechien gar die höchste Mortalitätsrate der sechs untersuchten Länder auf, Hierzulande waren seit dem Jahr 1984 im Schnitt 46.700 Hektar pro Jahr von Baummortalität betroffen. Das sind immerhin 1,17 Prozent der Waldfläche – damit liegt Österreich über dem mitteleuropäischen Mittelwert von insgesamt 0,79 Prozent der untersuchten Bestände. In Polen und der Schweiz ist es nur etwa die Hälfte, so die Studie. Eine genau Aufschlüsselung der in Europa am ehesten bedrohten Baumarten sei nicht möglich – arbeitete man doch auf Basis von Satellitenaufnahmen.

"Im Auge behalten"

Von Waldsterben will Seidl nicht sprechen, denn: "Der Wald stirbt nicht, nur weil große Bäume sterben." Viele Studien würden zeigen, dass sich der Wald in Mitteleuropa nach dem Absterben von Bäumen wieder gut verjünge. Langfristiger Handlungsbedarf bestehe aber jedenfalls: "Man muss die Entwicklung im Auge behalten, weil geänderte Waldstrukturen auch Auswirkungen auf die im Wald lebenden Arten und die vom Wald für die Gesellschaft erbrachten Leistungen haben."

Wie leistungsfähig die grünen Lungen als "Schmutzfänger" sind, zeigt eine Zahl: Der Wald in der EU konnte 2014 zehn Prozent des gesamten CO2-Ausstoßes aufnehmen – derzeit bedeckt er rund 40 Prozent der Fläche Europas. Wald ist neben vielen anderen Dingen: unser aller Zukunft.