Ein „Like“ da, ein „Gefällt mir“ dort, fünf goldene Sterne fürs hiesige Angebot, der grüne Zufriedenheits-Smiley fürs dortige Service, dazu Unmengen von hochlobenden Kommentaren oder vernichtenden Urteilen. Alles wird bewertet, be- und bei Bedarf verurteilt: die Praxisöffnungszeiten der Ärztin und die Verschmutzung des Autobahnparkplatzes. Die Nachmittagsbetreuung im Kindergarten und die Freundlichkeit des Bestattungsunternehmens. Das weiche Bett im Hotelzimmer und die zu stumpfen Steakmesser im Restaurant. Bevor gekauft, gebucht oder besucht wird, werden Meinungs- und Bewertungsplattformen konsultiert; nachdem gegessen, geschlafen oder benutzt wurde, wird in Foren darüber berichtet und gerichtet. Bewertungsskalen und Sterne-Ratings sind zu einem Qualitätsmerkmal für alles geworden.

Aber woher kommt dieser Drang zur Benotung? Wieso diese Begeisterung, alles beurteilen zu müssen? Warum dieses Vertrauen in die Meinung wildfremder Menschen? Der Soziologe Tilo Grenz von der Universität Wien führt zwei gängige Erklärungsmodelle an. Zum einen sei es die wachsende „Verdatung“ unseres Handelns: „Immer mehr unseres Tuns lässt sich in Daten gießen, wir hinterlassen immer mehr digitale Spuren, wodurch Bewertungen einfacher werden.“ Zum anderen leben wir in einer extrem pluralisierten Gesellschaft, in der uns jeden Tag alle möglichen Faszinosa und Phänomene umgeben und beschäftigen: „Da wird jede Form der Kommunikation ergriffen, die hilft, sich einen Überblick zu verschaffen.“ Bewertungen und Ratings eignen sich dafür sehr gut – vor allem auch, wenn sie in allgemein verständlichen und universell anerkannten Formen von Sternchen, Daumen, Balken oder Herzchen visualisiert werden. Sie geben Orientierung in der Masse.

Ich habe Hunger in einer fremden Stadt und suche das beste Restaurant in der Nähe: Tripadvisor verrät es mir auf einen Klick und führt mich hin. Das Kind hat im Urlaub Fieber bekommen und braucht ärztliche Versorgung: Docfinder liefert Erste Hilfe. Diese Kompassfunktion verändert den Blick auf die Welt im Allgemeinen und unser Verhalten im Speziellen. Denn die zurate gezogenen Portale und Hitparaden machen den Anschein, als wären damit auch Vergleiche problemlos möglich, als könne man Person X mit Person Y bemessen und feststellen, wer besser ist. „Das ist allerdings ein Fehlschluss“, warnt Soziologe Tilo Grenz. Einerseits, weil die Eingaben, die als Grundlage für diese Bewertungen dienen, „alles andere als neutral und vergleichbar, sondern zunächst Meinungskundgaben sind“.

Da wirke etwas objektiv, was subjektiv ist. Andererseits wisse man auch nicht, auf welcher Basis diese Bewertungsportale und Algorithmen funktionieren. Die Übersetzungsinstanzen hinter den Bewertungsplattformen, die die eingesammelten Daten in Beliebtheitsbalken, Sterne-Leisten und abstrakte Rankings verwandeln, sind nicht transparent. „Es ist eine Imagination der Vergleichbarkeit“, sagt Grenz. Mit möglicherweise unangenehmen Konsequenzen, weil auf dieser Grundlage tatsächlich (Kauf-/Personal-)Entscheidungen getroffen werden.
Demgegenüber steht das Gefühl der Selbstermächtigung des Konsumenten. Nicht mehr nur zertifizierte Prüfinstitute oder professionelle Tester dürfen sagen, was gut und schlecht ist, sondern jeder wird zum Jurymitglied. In der Soziologie spricht man von der „Ratinggesellschaft“, in der Arbeitspsychologie von „360-Grad-Feedbacks“, in der Konsumforschung von „Customer Empowerment“.

Aber ist das tatsächlich so? Verbessern anonyme Bewertungen von Arbeitskollegen das Betriebsklima? Sind Vergleichsportale seriöse Meinungsbildungsforen? Oder sind nicht gerade diese Bühnen der sozialen Medienlandschaft ein Tummelplatz für Scharlatane, Hochstapler und Blender, für zugekaufte Likes, geschickt gesetzte Hashtags und schlecht getarnte Inserate? Ist die Grenze zwischen Werbung und authentischen Beiträgen nicht längst verwischt?
Tatsächlich wird über Spam-Accounts, Geister-Follower und automatisierte sogenannte Comment Pods, die wie Kommentar-Kartelle nach dem Prinzip „Likst du mich, like ich dich“ funktionieren, Stimmung für ein Produkt, eine Urlaubsdestination oder ein Essen gemacht. Geschönte und gefilterte Fotos sollen Vertrauen schaffen, wo Misstrauen angebracht wäre. Alles Fake? „Kunden können ganz gut einschätzen, wenn Bewertungen eingekauft sind“, beruhigt Soziologe Grenz.

Eigene IT-Unternehmen wie Klout scannen die Social-Media-Profile von Nutzern nach Interaktionsdichte, Zahl der Follower und Likes und berechnen den Online-Einfluss für möglichst zielgerichtetes Influencer-Marketing. „Ernstzunehmende Influencer zeichnen sich nicht immer durch Reichweite aus, sondern durch fachspezifisches Wissen. Wenn das vorhanden ist, entsteht Glaubwürdigkeit – und damit sind sie für die Markenkommunikation wertvoll“, relativiert PR-Experte Thomas Zenz diesen Hype um die „Beeinflusser“.

Der Kunde ist nicht mehr König

Einfacher ist es ohnehin, die Kunden selbst zu Meinungsbildnern zu machen. „Bitte bewerten Sie uns“, betteln Geschäfte, Onlineshopping-Lieferanten, Sehenswürdigkeiten und WC-Anlagen auf Flughäfen um Sterne, Likes und Noten. Das alles erinnert an die Schulzeit. Und hat doch nur den Grund, das Konsumverhalten der Kunden zu durchleuchten, um Produkte und Angebote noch besser auf deren Wünsche abstimmen zu können. Auf die Spitze getrieben wird der Rating-Kult bei Vermittlungsplattformen wie Uber oder Airbnb. Hier wird die gängige Rollenverteilung in Dienstleistungsbeziehungen zwischen Käufer und Verkäufer erweitert: Fahrer und Fahrgast, Mieter und Vermieter bewerten sich gegenseitig, der Kunde ist nicht mehr König. Auch er muss die Bewertung des Anbieters über sich ergehen lassen. – Und beide Seiten wissen, wenn der Score unter fünf Sterne rutscht, haben sie ein Problem. Der Gewinner? Die Plattform, weil sie die User zu Komplizen der Überwachung und des legalisierten Datenklaus macht.