Ich gestehe es ohne Umschweife: Ich hatte Gorizia unterschätzt. Mein erster Besuch war flüchtig, ein Zwischenstopp auf einer ungewöhnlichen Mission. Wir wollten auf dem Friedhof nach „Namensvettern“ suchen, also nicht nach meinen, sondern jenen meiner Begleitung. Vom Friedhof ging es damals also in die Stadt und unsere Begeisterung hielt sich in Grenzen. Nicht einmal auf einen „caffè“ wollten wir verweilen, und das will was heißen! Manchmal hat man anscheinend keinen Blick für das, was sich einem offenbart – oder eben nicht offenbart, weil man nicht richtig hinsieht. Doch, ich liebe die Gegend – Collio, Karst, Triest – und es ärgerte mich, dass sich mir etwas nicht erschloss, wovon andere schwärmten. Ein neuer Versuch, die Stadt kennenzulernen, musste her, abermals eingebettet in eine kleine Tour durch die Region und das Hinterland.

Monarchie und Moderne

Man muss wissen, Gorizia ist keine gewöhnliche Stadt. Sie ist ein Ort zwischen den Welten, gezeichnet von der Geschichte, geformt von ihrer Lage. Jahrhundertelang war sie ein kulturelles Zentrum der Habsburger Monarchie, eine blühende Stadt mit kaiserlichem Glanz. Es war das „Nizza der Österreicher“, man flanierte im milden Klima und die Stadt war Schmelztiegel der Kulturen. Doch im 20. Jahrhundert wurde sie zur Stadt der Grenzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg zerschnitt der Eiserne Vorhang ihr Herz – ein Zaun, Stacheldraht, eine Linie, die Familien trennte und Freunde zu Fremden machte. Die westliche Seite blieb italienisch, während die andere Seite, Nova Gorica, als sozialistische Idealstadt Jugoslawiens neu entstand. Nova Gorica ist das moderne Gegenstück zu Gorizia. Hier gibt es keine mittelalterlichen Gassen oder kaiserlichen Paläste, sondern breite Boulevards, funktionale Gebäude und großzügige Grünflächen. Die Stadt wurde 1947 auf dem Reißbrett entworfen – eine Vision des sozialistischen Städtebaus, die Ordnung und Fortschritt symbolisieren sollte. Das Herzstück ist der Platz vor dem Transalpina-Bahnhof, wo einst die Grenze verlief. Heute kann man hier mit einem Fuß in Italien und mit dem anderen in Slowenien stehen – ein Symbol der Überwindung der Vergangenheit.

View from drone of historic centre of Gorizia with ancient castle on hill dominating city, Italy..
Das historische Zentrum von Gorizia © AdobeStock
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Gorizia und Nova Gorica - zwei Städte, eine Seele

Denn heute gibt es zum Glück keine Grenze mehr, keine Barrieren, nur eine sanfte Verbindung, als hätte die Stadt tief durchgeatmet und sich wiedergefunden. Ich überquere den Platz des Transalpina-Bahnhofs, wo einst Soldaten patrouillierten, und spüre doch noch das Echo dieser Teilung. Die Architektur erzählt ihre eigene Geschichte: hier die österreichisch geprägten Palazzi von Gorizia, dort die breiten Straßen und modernen Gebäude von Nova Gorica. Zwei Städte, eine Seele.

In den letzten Jahren hat sich Nova Gorica zu einem kulturellen Zentrum entwickelt, mit modernen Theatern, Galerien und einer lebendigen Universitätsszene. Ihre Architektur ist ein Kontrast zur Eleganz von Gorizia, aber sie erzählt ihre eigene Geschichte – von Neuanfang, von Pragmatismus und von einer Stadt, die sich immer wieder neu erfinden musste. Dieses Jahr feiert das vereinte Gorizia seinen Status als Kulturhauptstadt Europas. Festivals, Konzerte, Ausstellungen – die Stadt zeigt stolz ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Ich lasse mich treiben, lasse die Fassaden an mir vorbeiziehen, spüre die Leichtigkeit, mit der die Menschen heute zwischen den beiden Seiten wechseln. Es gibt keine Hürde mehr, nur die sanften Hügel des Collio, die sich im Hintergrund erheben und mich weiterziehen lassen in mein geliebtes Umland.

Mineralien und Sonne im Glas

Ich folge den gewundenen Straßen in die Weinberge, wo die Landschaft im warmen Licht schimmert. Die Reben erstrecken sich bis zum Horizont, das Grün der Hügel vermischt sich mit dem Blau des Himmels. Cormons ist immer eine gute Idee. Wenn man auf der Piazza in die Enoteca di Cormons einkehrt, dann findet man mit Sicherheit fröhliche Menschenrunden, Einheimische wie Gäste, die sich durch die Weine kosten und dazu ein paar Häppchen essen. Der Friulano in meinem Glas duftet nach Mineralien und Sonne, und während ich die samtigen Weine koste, lausche ich den Gesprächen und überlege, wie viele Flaschen von welcher Sorte mit mir kommen werden.

Castello di Spessa
Castello di Spessa © AdobeStock

Ein weiterer Abstecher steht am Programm, das Castello di Spessa. Eine wunderschöne Anlage, nicht zu Unrecht als Hochzeitslocation begehrt. Ich beschließe, eine Nacht in ein herrschaftliches Zimmer zu ziehen, um das Flair des Hauses zu genießen. Für das Abendessen spaziere ich am Golfplatz vorbei zur zugehörigen Hosteria di Castello. Es gibt Frico Friulano, Tagliolino al Montasio e Tartufo Friulano und dazu Ribolla Gialla. Das Personal ist sehr freundlich und die Speisen sind sehr gut. Insgesamt ist mir das Schloss persönlich zu „amerikanisch“ und der Golfplatz zu präsent. Deswegen geht es weiter zu einem kleineren Anwesen, dem Elliot in Manzano. Perfekter Ausgangspunkt für Weinerkundungen, Radtouren und andere Ausflüge. Das Zimmer hat einen kleinen Balkon mit Ausblick auf die Hügel, das Frühstück kann man im Garten genießen und auch den Abend wunderbar in der Taverna ausklingen lassen. Hier passt wirklich alles, der Ort, die Menschen, das Essen und der Wein. Herrlich ist es, die Seele baumeln zu lassen und sich dem Genuss hinzugeben.

Der Duft nach Pinien

Castle of Gorizia, Italy
Burg von Gorizia © AdobeStock

Am nächsten Morgen überlege ich, wo es mich nun hinzieht. Ins La Subida, das versteckte, mittlerweile sehr bekannte Juwel nahe der slowenischen Grenze, bei dem Tradition und Moderne in perfekter Harmonie aufeinandertreffen? Oder in den Karst, wo der Wind den Duft von Pinien und salziger Luft mit sich trägt, zu den Weingütern Čotar und Kante? Wohin auch immer, ich kann nicht genug davon bekommen und freue mich auch darüber, mit Gorizia und Nova Gorica zwei neue Orte für mich gefunden zu haben, die voller Geschichte(n) sind und voller Leben.

Was auf dem Heimweg allerdings nicht fehlen darf, ist ein „Schlenker“ durch das Soča-Tal, eine der schönsten Landschaften Sloweniens. Die Soča, smaragdgrün und eiskalt, windet sich durch tiefe Schluchten und weite Täler. Da hält man dann an, zieht sich aus und hüpft am besten ganz schnell hinein. Denn das Wasser ist eiskalt, doch danach ist man so klar und erfrischt wie selten. Und das kann nach einer ausgiebigen Tour durch die Weingegend wirklich nicht schaden.

Diese Reportage ist in der neuen Frühlingsausgabe der „ida“ erschienen - dem Lifestyle-Printmagazin der Kleinen Zeitung: ida - ich denke an ...