Liebe Susanne, was bedeutet Schönheit für dich? 

Susanne Wuest: Balance in den Dingen, und eine Ruhe darin.

Du wirst als charaktervoller Typ mit starkem Charisma wahrgenommen und wirkst seit vielen Jahren erfolgreich in nationalen wie internationalen Produktionen mit. Dennoch dürftest du hierzulande nur echten Cineasten sofort einiges sagen. Was denkst du, woran liegt das?

Mein Schwerpunkt liegt tatsächlich im Autorenfilm, wenn auch nicht ausschließlich. Hinzu kommt, dass eine flächendeckende Bekanntheit eine eigene Entscheidung ist. Diese Art von Öffentlichkeit ist ein Beruf für sich. Öffentlich sehr häufig aufzutreten und sich dem auszusetzen, das muss man wirklich wollen und persönliche Zeit und Energie dahinfließen lassen.

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Weshalb bist du den Weg der Autodidaktin gegangen, hast das Theater- und Filmschauspiel nicht mit einer klassischen Ausbildung gelernt?

Midi-Dress mit Federn besetzt und Satin-Schleife von Huishan Zhang<em> </em>
Midi-Dress mit Federn besetzt und Satin-Schleife von Huishan Zhang  © DIE IDA

Ich habe von Anfang an gedacht: Der einzige Weg, herauszufinden, ob es wirklich funktioniert, ist der Sprung ins kalte Wasser. Ich wollte wissen, ob ich davon leben kann. Darum bin ich gleich nach der Matura ans Volkstheater gegangen. Als Autodidaktin darf ich mich aber nicht bezeichnen, denke ich, denn ich hatte sehr gute Lehrer, eine lange und gute Gesangs-, Tanz- sowie Sprechausbildung. Und ich hatte von Beginn an großartige Regisseure und Kollegen. Das war zum Teil sicher brutal, aber ich habe bei manchen Regisseuren innerhalb weniger Wochen Probezeit mehr gelernt, als ich es vermutlich in Jahren eines doch „beschützten“ Studiums getan hätte. Aber das ist individuell. Für jeden Menschen gibt es mindestens einen passenden organischen Weg, für keine zwei Menschen den gleichen. Ich wusste, dass dieser Weg meiner ist.

Dein Traum von der Schauspielerei hat dich früh selbstständig werden lassen – bereits mit 15 Jahren bist du von zu Hause ausgezogen.

Meine Eltern und ich hatten sehr konträre Vorstellungen von meinem Lebensweg. Ich wusste für mich, dass ich meine eigenen Konsequenzen tragen wollte – nicht mehr die Konsequenzen aus Entscheidungen anderer. Und ich habe diese damit gewonnene Freiheit auch nie nachlässig behandelt. Ich bin arbeiten gegangen, habe die Schule abgeschlossen, habe begonnen als Schauspielerin zu arbeiten und das sehr ernst genommen. Das tue ich noch heute. Der größte Luxus, den ein Mensch haben kann, ist es, eine Wahl zu haben. Damit geht einher, gute Entscheidungen treffen zu können, die nicht aus einem Defizit geboren und angstfrei sind. So entsteht Unabhängigkeit. Und wenn man das in auch nur einzelnen Momenten erleben darf, dann hat man schon etwas ganz Rares gewonnen und erreicht. 

Waren deine ersten Jahre fort von daheim ein herausforderndes Parallel-Learning? Also Theater spielen zu wollen, gleichzeitig aber auch deine „Rolle“ als Teen und junge Frau finden zu müssen?

Kleid in Balloon-Shape von Christopher John Rogers über TheOutnet.com, Pumps von Nina Ricci, Ring von Mussles & Muscles 
Kleid in Balloon-Shape von Christopher John Rogers über TheOutnet.com, Pumps von Nina Ricci, Ring von Mussles & Muscles  © DIEI DA

Das habe ich damals irgendwie nicht so erlebt. Also, Teenager zu sein ist natürlich per se eine Reise. Aber ich hatte das Gefühl, sehr genau zu wissen, wer ich bin bzw. hatte ich einen sehr starken Kompass für das, was für mich gestimmt hat. Über sich selbst zu philosophieren ist ja ein weiterer Luxus – und den hatte ich damals definitiv nicht. Ich habe rund um die Uhr gearbeitet, und mir hat diese Zeit sehr viel Energie zurückgegeben. Es war sehr aufregend und spannend, nicht zu wissen, was als nächstes geschieht und gleichzeitig all diese Möglichkeiten zu sehen. Es war eine wirklich tolle Zeit!

Gab es im Laufe der Zeit bestimmte Wake Me Ups? Momente, die dich geprägt haben, auch hinsichtlich deiner Charaktere, die du heute spielst?

Mein stärkster Wake-Me-Up-Moment war dieser: Nach meiner ersten Hauptrolle in „Antares“ – der Film hatte einen tollen Festivallauf und war sogar Österreichs Oscar-Einreichung – war ich fast zwei Jahre lang arbeitslos. Wenn ich bis dahin gedacht hatte, es würde nach einem Erfolg automatisch leichter werden, dann habe ich in dem Moment einen sehr deutlichen Reality-Check bekommen. Dieser Lerneffekt hält bis heute an. Spontaner Erfolg heißt im ersten Moment mal gar nichts – außer, sich darüber freuen zu dürfen, dass ein Film Beachtung findet. Und das ist schon richtig viel! Am nächsten Tag geht es aber wieder ganz normal weiter und man beginnt ein neues Projekt wieder ganz von vorne. 

Rock von Carven, Pumps mit Fransen von Ferragamo
Rock von Carven, Pumps mit Fransen von Ferragamo © DIE IDA

Im Kinofilm „Ich seh Ich seh“ zum Beispiel spielst du eine Mutter, die sich nach ihrer Schönheits-OP von ihren Zwillingssöhnen entfremdet. Oder nehmen wir „Inedia“, ein sehr persönlicher Film der Regisseurin Liz Cairns, die mit 15 Jahren an einer Essstörung litt. Was reizt dich an Rollen, die sich in ihrer mysteriösen Spielart mit Themen wie Identität, aber auch Gewalt auseinandersetzen? 

„Ich seh Ich seh“ ist für mich die Geschichte von verlorener Liebe und einer durch Verlust unterbrochenen gemeinsamen Sprache. Die Kinder verstehen die Mutter in ihrem Schmerz nicht mehr, und die wiederum hat in dem Moment nicht die Hilfe oder Mittel, die sie bräuchte, um noch für ihre Kinder da zu sein. Mich hat das sehr berührt. Es gibt ganz viele Menschen da draußen, die so etwas tagtäglich erleben. Und wenn man eine Geschichte erzählen kann, die jemand anderem vermittelt, dass er nicht allein ist – dann ist dies die schönste und wichtigste Funktion des Geschichtenerzählens. 

Das Gleiche trifft auf „Inedia“ zu. Ich spiele die Figur einer Sektenführerin, die in einer nach Anschluss und Hilfe suchenden jungen Frau sich selbst oder eine Tochter zu finden glaubt. Auch das ist sehr berührend für mich. Einsamkeit ist ein so großes Thema der Menschheit. Und wenn ich so ein persönliches Skript wie das von Liz Cairns lese, denke ich nicht „die kriminelle/böse Sektenführerin“, sondern dann lese ich die Einsamkeit dieser Wesen heraus, die eigentlich nur nach einer Verbindung suchen. Das macht den Irrsinn, der in solchen Gruppen passiert, nicht gesünder. Aber es erzählt den Ursprung und, was dagegen helfen könnte. Und zum Thema Gewalt als reine Erzählform: Das finde ich einfallslos. Aber das ist Gewalt ja immer. 

Smoking Blazer aus Satin von Nina Ricci 
Smoking Blazer aus Satin von Nina Ricci  © DIE IDA

Du bist aber auch gerne mal komödiantisch unterwegs, richtig?

Wenn man mich lässt – sofort! Es hat Riesenspaß gemacht, „Wir könnten genauso gut tot sein“ zu drehen, einen Film von Natalia Sinelnikova! Auch „Drunter und Drüber“, eine Serie, die demnächst bei Amazon Prime laufen wird, war eine große Freude. Und ich werde in diesem Jahr noch einen Film drehen, der ebenfalls ein sehr, sehr lustiges Skript hat!

„There’s no stage“ könnte hingegen der Titel für dein Privatleben lauten. Verrätst du uns dennoch ein wenig, was du privat gerne tust? Hast du jemanden an deiner Seite, hast du Kinder?

Völlig richtig – there’s no stage. (lacht) Aber wir können sehr gerne über Hobbys sprechen, warum nicht!? Ich koche zum Beispiel wahnsinnig gern und habe eine große Liebe zu Restaurants und alten Wirtshäusern. Ich reise sehr gerne, worin mir mein Beruf sehr entgegenkommt. Und ich würde ein kleines Dinner einer größeren Feier immer vorziehen. 

Polka-Dot Bluse und Rock aus Leinen von Zimmermann, Satin Pumps von Nina Ricci
Polka-Dot Bluse und Rock aus Leinen von Zimmermann, Satin Pumps von Nina Ricci © DIE IDA

Und welche Menschen inspirieren dich? Ich habe zum Beispiel gelesen, dass du wahnsinnig gerne Ron Perlman einmal treffen würdest.

Das stimmt! Das wäre fantastisch! Vor Kurzem habe ich zudem eine großartige Rede des Fashion Designers Daniel Roseberry gehört! Darin sagt er, „Dreams are expensive“. Ich habe schon lange niemanden mehr etwas so Bodenständiges und Intelligentes sagen hören – in einer Welt, in der dauerhaft projiziert wird, für jeden müsse alles sofort und ohne Arbeitsaufwand erreichbar sein. Sogar mehr als das: dass uns dieses „Alles“ sogar zusteht. Ich würde das gerne als Inspiration wiederholen: Dreams are expensive. In derselben Reihe sollte auch stehen: Scheitern ist ein völlig natürlicher Teil unserer Entwicklung. Es ist nicht alles verloren und es ist nichts umsonst gewesen, nur weil uns etwas nicht auf Anhieb gelungen ist oder weil ein Weg auch mal sehr steinig und eisig sein kann. Ein Teil des Erfolges besteht gerade darin, seinen Weg einfach weiterzugehen. 

Ich persönlich entziehe mich einigermaßen erfolgreich Kostümpartys wie „The Golden Twenties“ oder „Schieß mich tot und haste nicht gesehen“. Gehst du zu solchen Partys? Ich meine, du schlüpfst schon für deine Rollen immer wieder in neue Outfits? 

Ich schließe mich dir hier an. Auf der anderen Seite ist auch ein Dresscode für eine Gala nichts anderes als eine elegantere Mottoparty. Ein gutes Kostümbild ist aber große Kunst. Ich habe riesigen Respekt vor Künstlern wie Tanja Hausner, die ein ganz spezifisches Erscheinungsbild erschaffen hat, das aber immer organisch wirkt. Styling im Generellen. Das getupfte Kleid, das unser Stylist Simon Winkelmüller für unser Shooting gefunden hat, das hätte ich selbst nie entdeckt! 

Ganzkörper-Body von Martin Niklas Wieser, alle Capes aus Seide von Femme Maison
Ganzkörper-Body von Martin Niklas Wieser, alle Capes aus Seide von Femme Maison © DIEI DA

Da sprichst du was Schönes an! Du hast dich bei unserem Shooting ablichten lassen, das ganz im Zeichen des Frühlingserwachens stand. Wie man sieht, legst du auch damit sehr charaktervolle Auftritte hin!

Danke! Ich finde, Wake-Up! ist ein Thema, das gerade sehr in unsere Zeit passt. Die Welt hat sich in sehr kurzer Zeit sehr stark verändert. Ich möchte positiv denken, dass wir bald wieder in einer gesünderen Welt aufwachen, aber das wird nur möglich sein, wenn wir wach sind, als Gemeinschaft intelligent handeln und mit Umwelt und Gesundheit respektvoll umgehen. Das heißt aber auch, dass man gerade jetzt ein besonderes Spotlight auf die guten und lebensfrohen Seiten werfen darf und sollte. Unsere Welt hat so viele schöne und gute Facetten, um die zu kämpfen sich lohnt. Die kann man nur bewahren, wenn man sie auch wahrnimmt und erlebt.

Der Frühling ist eh schon da! Also am besten aufwachen und aufblühen – oder?

Immer!

Dieses Interview ist in der neuen Frühlingsausgabe der „ida“ erschienen - dem Lifestyle-Printmagazin der Kleinen Zeitung: ida - ich denke an ...